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Kultur: Der Weg ist das Spiel

Warum sich alle zehn deutschen Bewerber um den europäischen Kulturhauptstadt-Titel 2010 schon jetzt als Gewinner betrachten

Vielleicht hätte sich Berlin auch noch mal bewerben sollen. 1988, als sich die Westhälfte schon einmal Kulturhauptstadt Europas nennen durfte, war es kein Kunststück: Da flossen in der Mauermetropole noch Subventionsmilch und Förderhonig. Heute wäre hier die Bewerbung eine echte Mutprobe. Jene 18 deutschen Städte, die angetreten sind, um den Titel zu erringen, wenn die Bundesrepublik 2010 gemeinsam mit dem EU-Neumitglied Ungarn je eine cultural capital stellen darf, haben es bisher nicht bereut. Bei einer Podiumsdiskussion am Dienstag in der Berliner Zentrale der Friedrich-Ebert-Stiftung überschlugen sich die Redner geradezu vor Begeisterung, wenn sie von ihren Erfahrungen berichteten. Olaf Schwencke, Präsident der Deutschen Vereinigung der Europäischen Kulturstiftung und sonst ein Herr von hanseatischer Zurückhaltung, wagte gar die Formulierung: „So viel Bewegung hat es seit den siebziger Jahren in der kommunalen Kulturpolitik nicht mehr gegeben!“

Wie bitte? In Zeiten, da die hauptstädtischen Akteure immer neue Stiftungsmodelle erfinden, um noch den allerletzten kostendrückenden Synergiefunken zu zünden, wird andernorts ein Seventies- Revival gefeiert? Glaubt man den Vertretern der zehn Städte, die in die zweite Runde gekommen sind, dann weht derzeit in Braunschweig und Bremen, Essen, Görlitz, Halle und Kassel, Karlsruhe, Lübeck, Potsdam und Regensburg tatsächlich der alte „Kultur-für-alle!“-Wind. Ein alter Recke dieser Bewegung, Dieter Sauberzweig, von ’73 bis ’81 Berlins Kultursenator, saß im bestens besuchten Saal und war’s zufrieden.

Ob Ingrid Häußler, Oberbürgermeisterin der Schrumpfstadt Halle (80000 Einwohner weniger seit der Wende), oder Ullrich Eidenmüller, Bürgermeister des weiterhin expandierenden Karlsruhe, alle schwärmen davon, wie radikal die Kulturhauptstadt-Bewerbung den Diskurs vor Ort verändert habe: Plötzlich stehen die Kulturpolitiker nicht mehr mit dem Rücken zur Wand, plötzlich sind wieder innovative Ideen möglich. Dabei geht es nicht um Events und prestigeträchtige Großprojekte, sondern um Identität und Identifikation. „Wir haben uns gefragt: Was ist denn eigentlich das besondere an unserer Stadt, wodurch unterscheiden wir uns von den anderen Kandidaten?“, berichtet Eidenmüller. Dass eine Gemeinde ein Leitbild braucht, ebenso wie jedes Unternehmen eine Firmenphilosophie, ist an sich eine Binsenweisheit. Wo aber dieser Gedankenprozess nicht funktioniert, passiert genau das, was sich derzeit an Berlin beobachten lässt. Die Bewerber dagegen waren gezwungen, sich über kommunale Stadtentwicklungsziele klar zu werden, nachhaltige Konzepte mindestens bis 2010 zu formulieren. Da wird weit voraus geschaut, da geht es um neue Netzwerke mit Osteuropa und Ideen für das Zusammenleben in den sich wandelnden Städten, aber auch in der globalisierten Welt, wo schließlich alle Migranten sind.

Dass sich die Wirtschaft schneller begeistern ließ als die Politik, wenn es darum geht, den Wert der Kultur für ein Gemeinwesen zu definieren, macht den Leiter der Bremer 2010-Initiative, Martin Heller, allerdings stutzig. Weil er befürchtet, dass die Luft schnell wieder raus ist, wenn die eigene Stadt den Titel nicht erhält. Und das kann schon sehr bald passieren: Eine siebenköpfige Jury tourt derzeit durch die Lande und soll bis Anfang März mindestens zwei, höchstens vier Endrunden-Kandidaten bestimmen. Dem Honoratioren-Gremium gehören unter anderem Berlins Akademie-Präsident Adolf Muschg und sein Vorgänger György Konrad an. Namen, die nicht in erster Linie für Innovation stehen.

Infos: www.kulturhauptstadt-2010.de

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