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Kultur: Der weiße Vogel

Von Johannes Völz Die Geschichte des Altsaxofonisten Lee Konitz beginnt mit seinem ewigen Gegenspieler. Mit Charlie Parker, dem Besessenen, dem Wahnsinnigen, der für die Eingeweihten nur „Bird“ hieß - wie sonst sollte man auch einen nennen, dessen ekstatische Improvisationen in Höhenflügen endeten, denen kein anderer folgen konnte?

Von Johannes Völz

Die Geschichte des Altsaxofonisten Lee Konitz beginnt mit seinem ewigen Gegenspieler. Mit Charlie Parker, dem Besessenen, dem Wahnsinnigen, der für die Eingeweihten nur „Bird“ hieß - wie sonst sollte man auch einen nennen, dessen ekstatische Improvisationen in Höhenflügen endeten, denen kein anderer folgen konnte? 1943, mit Anfang Zwanzig, kam Parker von Kansas City nach New York und gab mit seinem Altsaxofon dem Jazz neue Kraft, indem er ihn von den festgefahrenen Swing-Klischees befreite. Zwar erfand er den Bebop nicht ganz allein - auch andere schwarze Musiker wie der Trompeter Dizzy Gillespie und der Schlagzeuger Kenny Clarke trugen bei den nächtlichen Jam-Sessions in Harlem ihren Teil zur Entstehung bei - doch Parker war der Einnehmendste von allen. Sein Stil: verspielt und dabei doch verwurzelt im Blues. Sein Lebensstil: noch exaltierter als sein Spiel, schwankend zwischen Heroinrausch und Selbstmordversuchen. Schon zu Lebzeiten wurde er zu einer mythischen Figur, verehrt nicht nur von Schwarzen, sondern auch von den weißen Rebellen der Beat-Generation.

All das muss man erzählen, um begreiflich zu machen, wogegen Lee Konitz anspielte, als er 1946 mit 19 Jahren von Chicago nach New York zog - als der erste Altsaxofonist nach der Bebop- Revolution, der anders klingen wollte als Charlie Parker. Konitz versuchte in jeder Hinsicht, einen Kontrapunkt zu „Bird“ zu finden. Die afroamerikanische Tradition der swingenden Synkope kümmerte Konitz nicht, er setzte seine Töne lieber gleichmäßig nebeneinander. Wo Charlie Parker schneller spielte als je ein Saxofonist zuvor, reichten Konitz gemächliche Achtelnoten. Und wo es Parker um Expressivität ging, kultivierte Konitz einen schnörkellosen Ton, ganz ohne Verzierung und Vibrato. Auch im Habitus war er der Anti-Parker: „Dramatische Geschichten aus meinem Leben kann ich leider nicht bieten“, sagt er heute im Gespräch.

Wie Parker entwickelte auch Konitz seinen musikalischen Ansatz nicht ohne Hilfe von außen. Lennie Tristano, ein blinder Pianist, den Konitz schon aus der gemeinsamen Zeit in Chicago kannte, scharte Ende der vierziger Jahre in New York junge Musiker in seinem Sextett um sich. Techniken der europäischen Klassik wie kontrapunktische Stimmführung wollte Tristano mit der Jazzimprovisation verbinden. Konitz war sein aufmerksamster Schüler und trug die Ideen in die Öffentlichkeit. Das gelang ihm vor allem damit, dass Miles Davis ihn 1949 in die Capitol-Studios rief, um bei den epochalen Plattenaufnahmen für „Birth of the Cool“ mitzuwirken.

Davis hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit Charlie Parker gespielt, doch nun wollte er den Bebop weiterentwickeln: mit einem fast symphonischen Nonett, das dem kochenden Bebop mit so ungewöhnlichen Instrumenten wie Horn, Baritonsaxofon und Tuba eine neue Tiefenschärfe gab. Der Plattentitel „Birth of the Cool“ traf den Nagel auf den Kopf, denn in der Tat, die Aufnahme-Sessions gelten seither als Geburtsstunde des Cool Jazz.

Dass hier Konitz Altsaxofon spielte und nicht Parker oder einer dessen Epigonen, musste auf die Jazzwelt wirken wie ein Schock.

Parker und Konitz, Bebop und Cool Jazz, das war natürlich auch der Konflikt zwischen Schwarz und Weiß. „Bebop war Teil der schwarzen Hipster-Kultur. Mir war das völlig fremd. Das hatte mit dem Lebensstil zu tun, mit den Drogen, aber auch mit der Musik selbst. Gleichzeitig hatte ich oft das Gefühl, mich dafür entschuldigen zu müssen, Jazz zu spielen. Ich glaubte, das sei eigentlich die Musik der Schwarzen. Erst als mir klar wurde, dass es in meiner Musik um Thema und Variation geht, was ja viel klassischer ist als der Jazz, konnte ich das gelassener sehen".

Ein halbes Jahrhundert ist dieser Wettstreit her, Charlie Parker ist bereits seit 1955 tot - und Lee Konitz spielt noch immer. An die 200 Platten hat er seitdem unter eigenem n veröffentlicht, vier kommen allein in diesem Jahr dazu. 1968, inzwischen 40 Jahre alt, machte er eine Entdeckung, die ihm bis heute immer neue Ideen liefert: Auf „The Lee Konitz Duos“ (Milestone) spielte er mit so unterschiedlichen Musikern wie dem Tenorsaxofonisten Joe Henderson und dem Coltrane- Schlagzeuger Elvin Jones. Seitdem hat er mit unzähligen Jazz-Größen Duo- Platten aufgenommen und hat sich auch von unbekannten, europäischen Musikern wie dem deutschen Pianisten Frank Wunsch inspirieren lassen.

Beständig hat er an seinem Stil gefeilt, hat neue Einflüsse integriert und sich von den starren Dogmen des Cool Jazz verabschiedet. Inzwischen lässt er seine Tongirlanden swingen und scheut selbst vor Vibrato nicht zurück. Die Folgerung des Jazzforschers Dan Morgenstern: „Konitz war schon immer der Wärmste unter den Coolen".

Den Ruhm der frühen Jahre hat er nie wieder erreicht, in den Sechzigerjahren, zur Zeit von Free Jazz und Rock, fand er nicht einmal mehr regelmäßig Auftrittsmöglichkeiten. Doch eigentlich interessierte ihn das Rampenlicht auch nie: „Ich will einfach nur genießen, spontan Töne zusammenzusetzen.“ Cool ist Konitz noch immer, auf dem Saxofon wie in Worten. Dass er schon mit Anfang 20 zu den Gründern einer eigenen Schule des Jazz zählte, hat ihn nicht weiter beeindruckt. „Mir ging es nie darum, innovativ zu sein. Ich wollte nur zu einer Clique gehören".

Am Dienstag kommt der 74-Jährige für fünf Tage nach Berlin ins A-Trane. Der Berliner Pianist Andreas Schmidt, der Konitz 1995 für eine originelle Plattenaufnahme gewinnen konnte, ehrt die Legende mit einer Konzertreihe. Bei dieser einmaligen Gelegenheit wird Konitz jeden Abend auf andere Musiker treffen, darunter einige der angesehensten Musiker Berlins. Am Freitagabend wird er zum ersten Mal mit Deutschlands angesagtem Jazz-Trompeter Till Brönner spielen. Am Samstag stehen die Gesangsprofessorin Judy Niemack und der Gitarrist Jeanfrancois Prins mit ihm auf der Bühne. Die drei kennen sich bereits, 1993 haben sie für die Platte „Rhapsody 2“ (Bellaphon) in New York ein Stück eingespielt. Mit einer weiteren Sängerin, Celine Rudolph, spielt Konitz am Donnerstag. Begleiten wird die beiden David Friedman, einer der bedeutenden Vibrafonisten des Jazz, der auch Professor an der Universität der Künste ist. Den Auftakt der Konzerte macht Konitz am Mittwoch mit dem Bassisten Carlos Bica und dem Flötisten Gebhardt Ullmann. Am Dienstagnachmittag bereits wird Konitz einen Workshop für Nachwuchsjazzer geben - zuhören darf dabei jeder.

Starren Musikunterricht wird Konitz wohl nicht geben. Bestimmt erzählt er dabei aus alten Zeiten. Zum Beispiel von Charlie Parker. Dem ewigen Widersacher.

Lee Konitz spielt von Dienstag bis Sonnabend im A-Trane, 22 Uhr.

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