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Kultur: Der Weltenbastler

Chaos und Konsum: zum Tod des amerikanischen Installationskünstlers Jason Rhoades

„Die Welt ist alles, was der Fall ist“ – dieses berühmte Wort des Philosophen Ludwig Wittgenstein hätte auf den Künstler Jason Rhoades gepasst. Und das in doppelter Hinsicht: Denn zum einen sind es ganze Welten, die Rhoades in seinen monströsen Installationen erstehen ließ, und zum anderen häuften sich darin die „Fälle“; bis hin zu solchen, die manch konservativer Betrachter eher als Tatbestand sah, etwa dem der Pornografie.

In der Nacht zu Mittwoch ist Rhodes völlig überraschend im Alter von nur 41 Jahren an Herzversagen verstorben, wie seine Galeristen mitteilten. Ein Star der Kunstszene ist damit erloschen, der die Grenzen des Kunstbetriebs allein schon durch die schiere Größe seiner Arbeiten strapazierte. Nur Großsammler mit viel Platz konnten es wagen, eine seiner ausufernden Fantasiegebilde zu erwerben – Harald Falckenberg in Hamburg etwa, und natürlich Friedrich Christian Flick. In der Erstpräsentation der Flick Collection im Hamburger Bahnhof Berlin füllte seine Arbeit „Schöpfungsmythos“ denn auch einen Großteil der Haupthalle: ein unentwirrbares Gestrüpp von Allerweltsgegenständen, verbunden durch Schläuche und Leitungen, die einen geheimen, doch unergründlichen Mechanismus anzuzeigen schienen. So stand im Mittelpunkt das „Gehirn“, angedeutet durch Computerarbeitstische. „Für mich war Jason ,the Mason’ der Inbegriff des Extremkünstlers, der uns den ganzen Wahnsinn unserer Industriewelt in Form einer Überforderungsästhetik gegenüberstellte“ , interpretiert Joachim Jäger, Kurator am Hamburger Bahnhof, Rhoades’ Arbeit.

Er war der Prototyp des Garagenbastlers, der die verstreutesten Gegenstände miteinander in Beziehung bringt, scheinbar ohne recht zu wissen, was er damit eigentlich will. Aber nur scheinbar: Rhoades hatte stets eine präzise Vorstellung davon, was seine Auge und Verstand verwirrenden Chaos-Installationen bedeuten sollen. Geboren und aufgewachsen in Kalifornien, dem Traum- und Albtraumland des American Dream samt immerwährenden Konsums, wurde er zu einem späten Erbe der Pop-Art mit ihrem Lobpreis der Allerweltsdinge. Nur gab sich Rhoades nicht mehr damit zufrieden, beliebige Waren als Kunstwerke auszugeben, sondern er nahm sie als Rohmaterial und trieb ihnen den eigentlichen Zweck gründlich aus. Autos, Farbeimer, Bierdosen oder Plastikstühle gingen Verbindungen ein, die leise an den Surrealismus gemahnten, an in den Objekten vergegenständlichte, versteckte Triebwünsche.

Natürlich spielte das Auto eine große Rolle, dieses Symbol und Menetekel der Mobilität, ohne das man in Kalifornien keinen Meter voran kommt. Bezeichnend, dass Rhoades einmal ein Nachwuchsrennen parallel zu den berühmten „Indianapolis 500“ gewann. Merkwürdige Rennwagen hat Rhoades gebastelt, die sich nicht bewegen konnten, sondern stattdessen aufgepeppt waren mit noch mehr Verbrauchsgütern, mit verstörenden Zusammenballungen von all dem Wohlstandsschrott, als der sich unser Konsum entpuppt, sobald ihm die vermeintliche Zweckbestimmung abhanden kommt.

Dabei hat der 1965 als Farmerssohn geborene Rhoades eine makellose Künstlerausbildung absolviert, vom San Francisco Art Institute bis zum Master an der University of California 1993. Quasi aus dem Stand heraus begann er mit seinen Installationen. In Deutschland widmete ihm die Kunsthalle Nürnberg 1998 die erste Einzelausstellung. Die vielleicht strengste und konsequenteste Arbeit verwirklichte er im Jahr darauf in den Hamburger Deichtorhallen: ein perfiderweise „Perfect World“ betiteltes Gewirr aus Hunderten von stählernen Gerüststangen, das einen unerreichbaren Gemüsegarten trug – eine Paraphrase auf den himmelweiten Abstand zur Natur, den die Warenwelt mittlerweile aufgespannt hat.

Noch etwas hätte Wittgenstein gefallen: das Sprachspiel, mit dem Rhoades vor zwei Jahren im schweizerischen St. Gallen Empörung hervorrief. Im Geburtsjahr des großen Immanuel Kant fiel ihm die Lautähnlichkeit mit dem Four-letter word „cunt“ auf, und er sammelte lauter „Pussy Words“ – Bezeichnungen des weiblichen Geschlechts – in seiner Installation „My Medinah“; auch das wieder eine Anspielung, die es in sich hat. Nun ist Jason Rhoades, der große Weltenbastler, verstummt.

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