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Kultur: Der Zar, den das Volk liebte Die Russische Botschaft erinnert an Alexander II.

Der rote Teppich, der im Empfangssaal der Russischen Botschaft zu Berlin auf das monumentale Glasfenster hinführt, fällt gar nicht besonders auf. In diesem Raum, in diesem Haus muss es so sein.

Der rote Teppich, der im Empfangssaal der Russischen Botschaft zu Berlin auf das monumentale Glasfenster hinführt, fällt gar nicht besonders auf. In diesem Raum, in diesem Haus muss es so sein. Tatsächlich führt der Weg zu einem Podium, darauf eine Vitrine mit Glassturz, darin eine Art heilige Schrift. Es handelt sich um den Krönungskodex, der 1856 zur Krönung Zar Alexanders II. angefertigt wurde, ein 25 Kilogramm wiegendes Objekt mit zahllosen Stahlstichen und Lithografien. Drei Exemplare des Kodex sind heute noch bekannt, nur eines in russischer Sprache, die anderen beiden auf Französisch, der Lingua franca der damaligen Zeit. Eines dieser Exemplare ist vor Jahren in New York versteigert worden, das andere Werk befindet sich ebenfalls in Privatbesitz, in Deutschland. Es gehört nicht viel Fantasie sich auszumalen, dass der glückliche Finder des Buches, als es zu DDR-Zeiten aus einer Hallenser Bibliothek schlichtweg entsorgt werden sollte, dieses Magnum opus behalten hat.

Nun ist es in der Russischen Botschaft ausgestellt, die sich damit – erstmals seit ihrer Erbauung in allerfrühester DDR-Zeit überhaupt – dem Publikum öffnen will. Allerdings erfordert der Besuch einige Anmeldeformalitäten, doch die Besichtigung lohnt jede Mühe, vom Gebäude selbst einmal ganz abgesehen. Der Kulturwissenschaftler Andrej Tchernodarov der die Ausstellung „Macht, Pracht, Herrlichkeit. Die Moskauer Zarenkrönung von 1856“ ausgerichtet hat, sprach bei der Vorbesichtigung von Haus und Ausstellung als zwei Elementen einer „Geschichte der Repräsentationsdarstellung der Macht“. Das trifft es. Alexander II. ist als der Reformzar in die Geschichte eingegangen. Seine größte Tat war die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern im Jahr 1861. Als Autokrat krönte sich der Zar selbst, Peter der Große hatte diese Tradition nach dem Russisch-Schwedischen Krieg eingeführt.

Die Krönungen fanden im Moskauer Kreml statt, in der Mariä-Himmelfahrtskathedrale, wovon Chromolithografien von Georg Wilhelm Timm und Mihály von Zichy Zeugnis geben. Das Volk feierte ausgelassen mit, die Festlichkeiten zogen sich wochenlang hin. Von den Lithografien werden Faksimiles gezeigt, dazu originale Erinnerungsstücke wie ein Paradekissen des Zaren, aber auch ein Gemälde des Namenspatrons, des Nationalheiligen Alexander Newski, vom deutschen Historienmaler Hermann Wislicenus.

Mit dem Jubiläum der Zarenkrönung – und da kommen wir der politischen Aussage der Ausstellung auf die Spur – fällt der 1150. Jahrestag der russischen Staatlichkeit zusammen. Alexej II. war der erste Zar, der dieses Ereignis feiern ließ, vor 150 Jahren zur 1000. Wiederkehr. Und noch etwas. Kurator Tchernodarov ließ die Bemerkung über die in Deutschland gehütete Rovinskij-Sammlung mit Russland-Bildern aus vier Jahrhunderten fallen, diese sei „ein Zeichen, dass es nicht wichtig ist, wo Kunstschätze aufbewahrt werden, sondern dass sie der Wissenschaft zugänglich gemacht werden“. Ein Schelm, wer nach dem Sinn dieser Bemerkung fragt. Der aus Berlin entführte Schliemann-Schatz in Moskau lässt grüßen. Bernhard Schulz

Russische Botschaft, Unter den Linden 63-65, bis 15. Dezember. Anmeldungen zum Besuch bis eine Woche vor dem gewünschten Termin unter kultur@russische-botschaft.de oder chernodarov@yahoo.de

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