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Kultur: Der Zeichenmaschinist

Marcel van Eeden erzählt Rätselgeschichten in der Berliner Galerie Zink

Celia ist weg. Dabei haben wir sie eben noch im Krankenhausbett liegen sehen, wie sie den Blick in die düstere Landschaft hinter der Scheibe richtet. Gezeichnet von Marcel van Eeden wie der Vorspann zu einem „Film Noir“, dessen 147 Standbilder das Kino im Kopf in Bewegung bringen. Kein linearer Erzählfluss allerdings, denn die „Bilder-Geschichte“ springt von lichtdurchfluteten Gleisanlagen zu nächtlichen Neonfassaden, wird vom Kunstmuseum in den Seekrieg gerissen, unterbrochen von Explosionen, Revolvern, Biedermeier-Silhouetten, Pornos und Zitaten abstrakter Malerei.

Zwischendrin meint man in einer Rückenfigur auf dem Tanzparkett oder unterm Bahnhofsgewölbe der Titelheldin des Zyklus’ „Celia“ wieder zu begegnen, der in der Galerie Zink (nur komplett für 235 000 Euro) zu sehen ist. Oder gibt es sie gar nicht: weder Celia noch die Geschichte?

Marcel van Eeden begreift sich als Bildersammler und -archäologe, der täglich eines seiner Fundstücke frei Hand abzeichnet. Man könnte sagen: abschreibt, wie ein klösterlicher Kopist. Es entsteht eine Art Tagebuch aus einverleibten Bildern, das der Künstler auf seiner Homepage laufend aktualisiert (www.marcelvaneeden.nl). Darunter Solitärzeichnungen, die bei Zink auch angeboten werden (je 1600 Euro), während van Eeden andere Blätter in seine umfangreichen Serien einspeist.

Durch die lockere Hängung über fünf Wände ergibt „Celia“ bei Zink ein Bilderpatchwork – doch die vier literarischen „roten Fäden“, die den Zyklus zusammenhalten, sind immer noch lesbar. Textpassagen von T. S.Eliot oder Robert Walser führen den Leser-Betrachter von Segment zu Segment. Das erinnert an Comicgeschichten, obwohl Text und Bild kaum etwas miteinander zu tun haben. Beim Vorgängerzyklus war das anders. Van Eeden stieß die authentische Figur eines US-Wissenschaftlers in erfundene Lebensstationen, ließ ihn zum „Chameleon Man“ nach dem Vorbild von Woody Allens „Zelig“ mutieren, der Liz Taylor heiratete, Boxkämpfe und Weltkriegsschlachten gewann. Eine wunderliche Biographie, die aus allen Nähten platzte.

Seit „The Life and Work of K. M. Wiegand“ auf der letztjährigen Berlin Biennale Furore machte und in die bedeutende Sammlung Goetz aufgenommen wurde, gilt van Eeden als Senkrechtstarter. Zurzeit entsteht seine nächste Serie „The Archaelogist“ für eine Soloshow in der Tübinger Kunsthalle. Und Ende Mai wird van Eeden im Kunstverein Hannover unter dem Gruppenlabel „Made in Germany“ präsentiert – kein Etikettenschwindel, weil der 41-jährige Niederländer zwischen Den Haag und seinem Atelier in Prenzlauer Berg pendelt.

Zurzeit kommt er ohnehin viel herum: auf den (nicht nur medialen) Spuren des Archäologen Oswald Sollmann. Pralles Künstlerleben. Eigentlich merkwürdig, dass sein Gesamtschaffen dennoch unter dem Motto „Enzyklopädie meines Todes“ steht. Dazu muss man von der ausgeprägten Todesangst des Künstlers wissen und davon, dass van Eeden nicht über den zukünftigen Tod spekuliert, sondern die Sache von hinten aufzäumt: das Nicht-Sein, aus dem wir ins Leben schlüpfen, lässt sich als vergangene Zeitstrecke begreifen. So gesehen, endet der Tod im Moment, in dem wir geboren werden.

Das Konzept ist tröstlich, von philosophischer Dimension und verblüffend einfach: Van Eeden wählt nur Zeichenvorlagen und Texte aus, die vor seinem Geburtstag, dem 22. November 1965, entstanden sind. Er nutzt den Tod als künstlerische Fundgrube. Van Eeden weiß Freund Hein hinter sich. Er stärkt ihm den Rücken. Einerseits. Andererseits spürt man die nachtkalte Hand des Todes über die Blätter streichen.

Der Strich ist breit, mit trotzig-stumpfem Stift gezogen. Während sein Freund und Zeichnerkollege Marc Brandenburg seine barocke Detailwut mit harter Bleistiftspitze exerziert, tendiert van Eeden zur malerischen Wirkung, zu rauchiger Atmosphäre und zeichnerischer Vergröberung. Sein hohes Arbeitspensum lässt ihn schnell, aber nicht flüchtig zeichnen, mit kantiger Eleganz. Der sogenannte Negrostift taucht die Szenerien und Akteure in tiefe Schlagschatten, während hell- und mittelgraue Tonwerte mit weichem Bleistiftgitternetz eingefangen werden. Papierweiß sind die Textfelder. Wie die Off-Stimme des heillos in einen Sumpf aus Verbrechen und Leidenschaft verstrickten Kinodetektivs à la Humphrey Bogart legt sich der Bewusstseinsstrom der Textpassagen über die Bilder.

Die Buchstaben zeichnet van Eeden mit ABC-Schablonen, die er vom Vater, einem Handelsvertreter für Zeichenmaschinen geerbt hat. „Ich bin selbst eine Zeichenmaschine“, sagt er von sich. Und Celia? Ist tot. So steht es in den Dialogzeilen des T.S.-Eliot-Stücks „The Cocktail Party“, das van Eeden zitiert. Die Pest in Afrika hat Celia dahingerafft. Die Story mäandert ohne sie weiter, Linie für Linie, Bild für Bild. Die Zeichnung stirbt zuletzt.

Galerie Zink, Schlesische Straße 27; bis 16. Juni, Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr, Sonnabend 12-16 Uhr.

Jens Hinrichsen

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