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Kultur: Deutsche Oper Berlin: Eine Krücke für das Christkind

Einer fehlt. Götz Friedrich legt eine liebevolle Inszenierung vor, ein hübscher Triumph zeichnet sich ab, die Komödianten werden gefeiert, zumal Thomas Timmer vom Tölzer Knabenchor in der Hauptrolle, und der Regisseur kann der klassischen Applausordnung nicht folgen, krankheitsbedingt.

Einer fehlt. Götz Friedrich legt eine liebevolle Inszenierung vor, ein hübscher Triumph zeichnet sich ab, die Komödianten werden gefeiert, zumal Thomas Timmer vom Tölzer Knabenchor in der Hauptrolle, und der Regisseur kann der klassischen Applausordnung nicht folgen, krankheitsbedingt. Es ist seine letzte Einstudierung als Generalintendant an der Deutschen Oper Berlin. Das lenkt den Blick zurück.

"In jeder Kreatur ein Funke Gottes" - der Zwischenvorhang reflektierte mehrsprachig die Worte, die Janácek auf seine Partitur "Aus einem Totenhaus" geschrieben hat. Mit diesem Kollektivstück eröffnet Friedrich 1981 programmatisch seine erste Spielzeit an der Deutschen Oper. Die untergegangene Kroll-Oper steht ihm dabei im Sinn, da das experimentelle Berliner Institut 1931 mit diesem Ausnahmewerk schließen musste. Berühmt seit dem Bayreuther "Tannhäuser" 1972, dem Franz Josef Strauß die Ehre einer pamphletistischen Rezension gibt, im besten Sinn umstritten also, hat Friedrich seine Pionierarbeit unter Felsenstein an der Komischen Oper schon hinter sich und alle Möglichkeiten an den großen Opernhäusern Europas offen, als er in Berlin antritt. Es ist seine volle Zeit, "Zeit für Oper", wie er dynamisch verkündet. Es überrascht manchen, dass er kein Revolutionär ist - eher im Gegenteil. Trotzdem holt er 1982 Hans Neuenfels als Regie-Konkurrenz. Als Intendant will er alles umfassen, bis in die feinste Klinze, ohne delegieren zu können. Er signiert jedes Papier selbst. Lange hat er die Kraft zu diesen Ausmaßen. Auf "Totenhaus" folgt nach einer Probenintensität ohnegleichen "Lulu" mit Günter Reich und Karan Armstrong. Friedrichs "Abenteuer Musiktheater" zielt darauf, das Singen in seinem Wesen zu vermenschlichen. Die Inszenierungen der 80er Jahre, zumal sein "Ring" im "Zeittunnel" Sykoras, festigen den Erfolg. - Heute ist zu wünschen, dass er nach der schwer gewordenen Bürde Deutsche Oper den Kopf frei bekommt und die Gesundheit mitmacht, damit er sein Freelance-Erlebnis als Künstler haben kann: Für Köln plant er "Don Carlos".

Aus dem Amt verabschiedet er sich nun, indem er eine Oper vornehmlich für das zukünftige Publikum inszeniert, "Amahl und die nächtlichen Besucher" - Gian Carlo Menottis einaktige Kinderoper, die zu Weihnachten 1951 als erste Fernsehoper überhaupt über USA-Bildschirme ging. Die Literatur über Neue Musik nach 1945 liebt den Komponisten Menotti nicht, den demnächst 90-Jährigen. Zu konservativ ist ihr die Schreibweise des Italieners am Broadway, obwohl einige seiner Treffer in alle Welt gelangt sind, nach Westberlin in der Ferne der Fünfziger auch der reißerische "Konsul" und "Die Heilige der Bleecker Street". Zu den anspruchslosen Kurzopern, die sehr amerikanisch erblüht sind, zählt auch "Amahl", und die Übertragung in ein großes Theater ist nicht gerade geeignet, das Verdikt der Musikologen aufzuheben. Realistisch zwischen Puccini und Mussorgsky, mit ein paar Modernismen durchsetzt, wirkt die Musik dürftig. Menottis Libretto besagt, dass ein verkrüppeltes Kind plötzlich gehen kann, nachdem es seinen einzigen Besitz, die selbst gebastelte Krücke, als Geschenk für das Christkind vorgesehen hat. Hüpfend folgt es den "nächtlichen Besuchern" Kaspar, Melchior und Balthasar, wie die Volksfrömmigkeit die biblischen Weisen aus dem Morgenland benannt hat.

Die Rollen sind mit Peter Maus, einst junger Tartar Aljeja im "Totenhaus", Peter Edelmann und Terry Cook angemessen bis hochrangig besetzt. Die Mutter in der armseligen Hütte erinnert an andere Theatermütter, die von Hänsel und Gretel oder Giselle, und wird von Lucy Peacock treusorgend verkörpert. Hirtenchöre und Orchestersolisten hält Sebastian Lang-Lessing mit dirigentischer Kompetenz zusammen. Der bekannte Magier Igor Jedlin steht, indem er die Taube aus der Zeitung zieht, für das Bemühen, die Vorstellung aufzupäppeln. Goldene Kronen unter gestirntem Himmel, Schleiervorhang, Artisten, Breakdancer und die Bahnschienen, die in die weite Welt führen oder in die Unendlichkeit - neben Friedrich zeichnen die Ausstatter Gottfried Pilz und Isabel Ines Glathar und der Choreograf Marc Bogaerts verantwortlich für das Kunterbunt.

Es gibt die intimen Momentaufnahmen der Partitur, darin der dramaturgische Sechsachtel-Schwung, mit dem der junge Amahl die Mutter tröstet, das archaische Andante, das die drei Könige singen, endlich das ergreifende Ensemble um die Wunderheilung Amahls, flüsternd, im Original "I walk, Mother", dann molto lento "He walks" mit dem anschließenden Allegretto des Tanzens und Springens. Trotzdem klingt die TV-Bagatelle im weiten Raum seltsam monoton. Problematisch wie die abendfüllende Kinderstimme, auch wenn der Abend klein ist und das Können des Tölzer Knaben groß.

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