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Deutsche Oper: Mehr Süden im Westen

Fenster auf – und die Intendantin holt selbst die Farbe: Wie Kirsten Harms Götz Friedrich ehrt – und der Deutschen Oper die Eleganz der frühen Jahre verleiht.

Ob Götz Friedrich jemals auf einer Sonnenterrasse gesessen hat? Der langjährige Intendant der Deutschen Oper Berlin war ein klassischer Dunkelmann, einer, der seine Tage bei Kunstlicht verbrachte, im Bauch des Musiktheaters, probend, diskutierend, rauchend. Ein Nachtalbe, um es mit Richard Wagner zu sagen. Die Wehrmauer aus Waschbeton, mit der Architekt Fritz Bornemann 1961 die Deutsche Oper gegen den Durchgangsverkehr auf der Bismarckstraße abgeschottet hat, symbolisierte perfekt die Gesinnung des Hausherren: my castle is my home. Hier entstanden seine großen Inszenierungen, hier erzählte er Geschichten von liebenden Menschen und den gesellschaftlichen Zwängen, die ihr Glück unmöglich machen.

Dann starb Götz Friedrich im Dezember 2000, die Deutsche Oper fiel in Agonie, die Intendanten wechselten schnell, Generalmusikdirektor Christian Thielemann schmiss hin, kam wieder, verschwand gen München. Schließlich ging der Senat auf volles Risiko, holte eine Hoffnungsträgerin mit wenig Erfahrung im internationalen Musikbusiness, Kirsten Harms aus Kiel.

Auch wenn Harms bei Friedrich Regie studiert hat, ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar: Mit Äußerlichkeiten hat sich Götz Friedrich nie aufgehalten, der Ärmelaufkrempler, dem der Anzug stets eine lästige Pflichtkleidung war, der seine Jacketts so groß kaufte, dass sie ihm um die breiten Schultern schlabberten. Kirsten Harms dagegen ist eine Ästhetin, grazil und ätherisch, ein Luftgeist, stets von Kopf bis Fuß in Weiß gewandet. Die Selbstinszenierung gehört bei ihr zum Persönlichkeitsprofil – und was die frisch gekürte Intendantin sah, als sie 2004 die Raumfluchten der Deutschen Oper inspizierte, gefiel ihr darum auch gar nicht. Das Haus war vollkommen verwohnt, an den unmöglichsten Stellen standen kübelweise Plastikpflanzen herum, unter jeder Treppe lag Sperrmüll, wie Jahresringe hatten sich die Gebrauchsspuren über die Sixties-Eleganz gelegt. Als Erstes zog Kirsten Harms los, besorgte sich eigenhändig Farbe im Baumarkt, schleppte die Eimer in ihr Büro und ließ die Wände in einem warmen, erdigen Toskana-Rot anstreichen. Dann beschloss sie, Fritz Bornemanns Bau seine Würde wiederzugeben.

Die Deutsche Oper ist ein Haus für Menschen, die auf der Suche sind nach Musik. Man muss schon hineingehen wollen – dann aber wird man freundlichst empfangen. Der dunkle Eingangsbereich mit der niedrigen Deckenhöhe neutralisiert die Alltagsgedanken. Über die breiten Treppen, die zu schweben scheinen, erreicht man das Hauptfoyer, eine Wandelhalle hoch wie ein Kirchenschiff, von unsichtbaren Kräften gehalten.

Dieses Haus ist ein Ort der Konzentration: Auf den Saal kommt es an, sagt das Foyer. Vorne spielt die Musik, sagt der Saal. Das passt vielen Opernfans nicht. Sie suchen im Theater stets den Hauch des Feudalen. Um sich im goldbronzenen Stuckglanz zu sonnen, halten sie in den Katakomben der Staatsoper Unter den Linden die Luft an, quetschen sich durch enge Gänge, nehmen klaglos das Stop and Go auf den Treppen hin. Die Foyers der Deutschen Oper dagegen locken zum Flanieren, laden zum Bade in der Menge, ohne dass Hitze und Drängelei programmiert sind. Und die japanischen Reispapierballons – echte Antipoden der traditionellen Kristalllüster – erzählen davon, dass hier das Licht der klassenlosen Operngesellschaft leuchtet.

Als Haus der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit will Kirsten Harms die Deutsche Oper wiedererstehen lassen. In Axel Baisch, ihrem Geschäftsführer, hat sie einen entschlossenen Mitstreiter, beim Freundeskreis des Hauses fand sie Gehör für ihre Pläne und mit VW einen potenten Sponsor. Zuerst musste das Parkhaus in einen zumutbaren Zustand gebracht werden, dann kamen die Foyers dran. Die Bierzapfstation verschwand, der Buchstand wurde ins Erdgeschoss verlegt, für die unteren Barbereiche wurden Jacobsen-Stuhlklassiker angeschafft, für die oberen Sitzgruppen nach Bornemann-Entwürfen angefertigt. Die Tischlerarbeiten übernahmen die eigenen Werkstätten, ebenso wie auch die Malerarbeiten. Dank einer Farbexpertise der Denkmalschutzbehörde konnten die ursprünglichen Wandgestaltungen ermittelt werden, die unterschiedlichen Anthrazit-Schattierungen für Säulen und Fensterrahmen, das coole Grün im Bereich des Hochparketts, das mattierte Gelb in den Seitenfoyers.

Als Nächstes wurden dort, wo die Besucher vom Parkhaus kommend jahrzehntelang auf vergilbte Gardinen blicken mussten, die Fenster aufgemacht. Ein Restaurant entstand, das auch als Kantine dient und schnell zum Treffpunkt wurde. Als krönender Abschluss der zweiten Phase der Modernisierungsmaßnahmen wird nun heute der Götz-Friedrich-Platz vor dem Restaurant eröffnet. Wer sieht, was aus der tristen Freifläche zwischen Krumme Straße und dem U-Bahn-Ausgang geworden ist, will gerne den vor einem Jahr erbittert geführten Streit um die Namensgebung vergessen. Viele hatten sich dafür ausgesprochen, hier des 1967 erschossenen Benno Ohnesorg zu gedenken. Letztlich aber setzte sich Harms mit ihrer Idee durch, die neu geschaffene Piazza nach Götz Friedrich zu benennen.

Es ist ein Ort geworden, an dem sich sogar der lichtscheue Generalintendant wohlgefühlt hätte – für jedermann öffentlich zugänglich und doch erstaunlich privat. Wer mag, flaniert hausseitig zwischen hohen Buchsbaum-Kübeln, wer müde ist, lässt sich gegenüber auf den Treppenstufen unterm Schattendach der Platanen nieder und bestaunt die jetzt endlich wieder zur Geltung kommende Glasfassade. Oder er setzt sich gleich auf die Terrasse des Restaurants und vergisst beim angenehmen Grundgeräusch der aus dem Boden sprudelnden Fontänen den sechsspurig vorbeirauschenden Großstadtverkehr. Der in Berlin einmalige Terrazzo-Belag sorgt zusätzlich für südliches Flair, farbharmonisch verweist das olivgrüne Quadrat der Wasserspiele auf die Platanen, während die anthrazitfarbene Umfassung den Grundton der Fassade aufnimmt. Unglaublich, aber wahr: dolce vita in Charlottenburg.

Als dritte und letzte Phase der optischen Renaissance ihres Theaters strebt Kirsten Harms jetzt noch eine Neuinszenierung des hauseigenen Beleuchtungskonzepts an. Die alten Strahler, die die Zuschauergesichter blass und krank aussehen lassen, werden abmontiert, alle Decken mit zeitgemäßen Lichtquellen ausgestattet. Die berühmten Japanballons bleiben dabei selbstverständlich erhalten, sollen durch die neuen Spots sogar noch optisch hervorgehoben werden, ebenso wie die schwebenden Treppen.

Das Schönste an der Deutschen Oper aber wird immer der Blick aus dem Foyer durch die seitlichen Glasfronten bleiben, nachts, wenn man, umweht von der Klangwolke der Pausengespräche, durch die längst haushoch gewachsenen Bäume die weißen und roten Lichtpunkte beobachtet, die geräuschlos auf der Bismarckstraße ihre nächtliche Bahn ziehen.

Zur Eröffnung des Platzes findet am heutigen Freitag ab 22.30 Uhr ein Fest mit der Bigband der Deutschen Oper statt.

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