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Gut sortiert. Präsident Barack Obama besucht ein Amazon-Vertriebszentrum in Chattanooga, Tennessee.

© REUTERS

Umstrittener eReader "Kindle": Deutscher Buchhandel will Kartellverfahren gegen Amazon

Amazon bindet die Nutzer seines E-Book-Readers Kindle extrem eng an sich und fast die Hälfte des Marktanteils entfällt mittlerweile auf den US-Konzern. Der deutsche Buchhandel legt sich jetzt mit dem Internet-Riesen an und will ein Kartellverfahren anstrengen - eine deutliche Kampfansage. Und nicht unwahrscheinlich.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie kaufen ein Bücherregal in einem Möbelladen. Das Regal ist praktisch und hübsch, hat aber einen Haken. Fortan dürfen Sie Ihre Bücher nur noch bei diesem Möbelhändler kaufen. Und Sie dürfen die Bücher an keinem anderen Ort als in jenem Regal aufbewahren. Und wenn Sie nach einigen Jahren das alte Regal durch ein neues ersetzen, müssen Sie alle Bücher wegwerfen.

Ein absurdes Szenario? Keineswegs. Nur der Versuch, das Geschäftsmodell von Amazons eReader Kindle auf die analoge Welt zu übertragen. Das geschlossene System des Onlinebuchhändlers, das Kindle-Besitzer extrem eng an die Verkaufsplattform Amazon bindet und ihnen zum Beispiel nicht erlaubt, elektronische Bücher außerhalb des Amazon-Kosmos zu kaufen oder einmal erworbene Inhalte auf andere Endgeräte zu überspielen, ist nicht nur der Konkurrenz ein Dorn im Auge. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sieht darin eine gezielte Strategie der Monopolbildung. Immerhin wird der deutsche E-Book-Sektor mittlerweile deutlich von Amazon dominiert. Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung kommt das Unternehmen auf 41 Prozent Marktanteil. Ein Fall für das Kartellamt?

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, bestätigt, dass derzeit alle rechtlichen Möglichkeiten geprüft würden. „Wenn Amazon eine marktbeherrschende Stellung im E-Book-Bereich hat, dann könnte dieses geschlossene System eventuell kartellrechtswidrig sein. Genau das lassen wir von Rechtsexperten untersuchen.“ Sollten die Anwälte zu einem positiven Ergebnis kommen, wird der Börsenverein beim Kartellamt einen entsprechenden Antrag stellen.

Eine Kampansage von David an Goliath

Es geht um die Durchsetzung von mehr systemischer Offenheit, „Interoperabilität“ ist das technische Stichwort. Mehr Durchlässigkeit für eReader, mehr Entscheidungsfreiheit für E-Book-Käufer. Es wäre ein deutscher Alleingang, eine deutliche Kampfansage von David an Goliath.

Für den Börsenverein, der die Interessen von 5500 Verlagen, Buchhandlungen, Antiquariaten und Zwischenbuchhandlungen vertritt, geht es um mehr als das Ausbremsen eines lästigen amerikanischen Konkurrenten, der auch beim Verkauf von gedruckten Büchern einen immensen Anteil am deutschen Buchmarkt hat. Genaue Zahlen gibt es nicht, Amazon selbst veröffentlicht keine. „Amazon agiert wie ein Autist in unserem Markt“, sagt Skipis. Bekannt ist nur, dass sich der Internetbuchhandel insgesamt im vergangenen Jahr über einen Zuwachs von mehr als 10 Prozent freuen konnte, während der stationäre Handel 3,7 Prozent Einbußen hinnehmen musste. Mittlerweile werden 16,5 Prozent des gesamten Buchhandelsumsatzes im Netz erwirtschaftet.

Doch es sind nicht nur die darbenden kleinen Buchhandlungen, die der Branche Sorgen machen. Es geht auch darum, dass Amazon für schlechte Arbeitsbedingungen und verödende Innenstädte steht. Und dass das Unternehmen, das seinen Europasitz ins steuergünstige Luxemburg gelegt hat, in Deutschland keine Steuern zahlt. „All diese Dinge sind aus meiner Sicht schon Grund genug, sich mit diesem Unternehmen kritisch auseinanderzusetzen“, sagt Skipis. „Aber der entscheidende Punkt ist, dass das System, wie es Amazon betreibt, eine gewachsene Buchhandelsstruktur kaputt machen wird.“ Der deutsche Buchmarkt sei weltweit vorbildlich, nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch in Bezug auf Qualität und Vielfalt. „Das ist eine Errungenschaft, die es zu bewahren gilt .“

Amazon baut das eigene Romansortiment immer weiter aus

Die Gefahr, so sieht es der Börsenverein, besteht in der Machtzunahme eines einzelnen Players. Wird erst ein Großteil aller Bücher über einen einzigen Händler verkauft, dann kann dieser dem Rest der Branche leichthin seine Bedingungen aufzwingen. Zwar darf Amazon wegen der in Deutschland existierenden Buchpreisbindung Bücher nicht günstiger als die Konkurrenz anbieten. Aber das Unternehmen könnte – und tut das auch bereits – von den Verlagen immer größere Einkaufsrabatte verlangen und damit seine Gewinnmargen ausbauen.

In den USA hat Amazon mittlerweile etliche Eigenverlage gegründet, hunderte Autoren unter Vertrag genommen und sich die Rechte an Bestsellern wie Ian Flemings James-Bond-Romanen gesichert. Auch in Deutschland baut man das hauseigene Romansortiment immer weiter aus. Zahlreiche E-Book-Autoren publizieren mittlerweile bei Amazon, ohne dass ein Verlag zwischengeschaltet ist. Meist stammen die Texte aus dem Unterhaltungsgenre, oft sind sie im Kindle-Shop sehr günstig zu haben. Es ist ein vielversprechendes Wachstumssegment: 2012 machten E-Books zwar nur 2,4 Prozent des gesamten deutschen Buchmarkts aus, aber die Kurve zeigt steil nach oben. In den USA liegt der Anteil der E-Books mittlerweile bei rund 25 Prozent.

Dass die Befürchtungen, der deutsche Buchmarkt könnte in den kommenden Jahren ähnliche Konzentrationsprozesse durchmachen wie der amerikanische, nicht nur kulturpessimistisches Geraune sind, zeigen die aktuellen Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Nur Frankreich hat bisher darauf bestanden, dass Kulturgüter aus diesem Abkommen ausgegrenzt werden, die Bundesregierung ist anderer Auffassung. Die Verhandlungen um das Abkommen werden vermutlich noch ein bis zwei Jahre dauern, sollten aber Bücher am Ende vom Freihandelsabkommen betroffen sein, könnte das das Ende der deutschen Buchpreisbindung sein, die Skipis als „flankierende Schutzmaßnahme“ bezeichnet. Die Maßnahme führt unter anderem dazu, dass kleine Buchhandlungen nicht in einem Preiswettkampf mit Großfilialisten stehen. Unter freien Marktbedingungen würden sie den niemals überleben.

Die Buchpreisbindung steht auf dem Spiel

Sollten sich allerdings die USA und die Lobbyisten der amerikanischen Internetunternehmen in Brüssel durchsetzen, dann könnte die Buchpreisbindung bald ein europäisches Auslaufmodell sein. Ausgerechnet die „Washington Post“ hat einen Tag nach ihrem Verkauf an Amazon-Chef Jeff Bezos auf Amazons Lobbyaktivitäten in den USA hingewiesen. Auch in Europa merkt man das längst. „Amerikanische Internetunternehmen machen einen erheblichen Druck in Brüssel“, sagt Skipis.

Wie sich der Buchmarkt ohne Schutzmaßnahmen langfristig entwickeln würde? Skipis verweist auf Großbritannien. Dort sei das gleiche Phänomen zu beobachten wie in den USA: „In Ländern, die keine Preisbindung haben, verschwinden nicht nur kleinere Buchhandlungen und die kleinen und mittleren Verlage. Auch die Preise verändern sich. Die Bestseller werden in Baumärkten und an Tankstellen günstig verkauft. Alle anderen Bücher werden teurer.“

Aber so muss es nicht kommen. Mittlerweile scheint zumindest bei den bibliophilen Verbrauchern die Skepsis gegenüber Amazon zu wachsen. In der Branche kursieren Gerüchte, dass die Umsätze, die Amazon in Deutschland mit Büchern erzielt, seit einiger Zeit deutlich rückgängig sind. Von 15 bis 20 Prozent ist die Rede.

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