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© Susanne Schleyer / autorenarchi

Deutscher Buchpreis Nominierungen: Das Beste in groben Zügen

Suhrkamp dominiert – und Sten Nadolny und Ernst Augustin sind auch dabei: Die Longlist für den Deutschen Buchpreis.

Nie war sie vielleicht so wertvoll wie heute, die 20 Romane zählende Longlist für den Deutschen Buchpreis 2012, der am 8. Oktober im Frankfurter Römer einen Tag vor Beginn der Frankfurter Buchmesse verliehen wird. Es geht hier (zwar nicht nur, aber doch primär) um Bücher, um Literatur, um den Literaturjahrgang 2012 – und nicht um Thomas Steinfeld, Frank Schirrmacher, den S. Fischer Verlag und die Frage, warum der eine mit dem anderen in Form eines Schwedenkrimis abgerechnet hat.

Was ganz im Sinn des rundum erneuerten Schriftstellers Rainald Goetz sein müsste, der neulich bei der feierlichen Buchüberreichung seines Romans „Johann Holtrop“ an die Kritiker die Materialität des Buches und den Zusammenhang von Form und Inhalt beschwor, die Eventmentalität des Betriebes geißelte und alle Klatschsauereien für suspekt erklärte. Dabei erzählte Goetz auch, dass er sich geweigert habe, „Johann Holtrop“ als Fahne oder pdf bei der Buchpreisjury vorzulegen, weil eben nur das fertige Buch zählen würde.

An dem Tag jedoch, an dem „Johann Holtrop“ zur Welt kam und Goetz seine Premierenrede hielt, tagte gerade die Buchpreisjury – und scheint den Roman doch gelesen oder sich einen Aufschub gegeben zu haben. Denn Goetz steht drauf auf der Longlist mit seinem „Abriss der Gesellschaft“ (so der Untertitel des Romans), der von den Machenschaften, der Kaputtness und den Sprechakten mächtiger Wirtschaftsmenschen erzählt.

Ansonsten ist diese Longlist des zum achten Mal verliehenen Deutschen Buchpreises so erratisch wie immer geraten, vielleicht einen Tick erratischer gar – und einmal mehr schwärmt deshalb auch der Juryvorsitzende Andreas Isenschmid von der „Welthaltigkeit“ dieser Liste. Nun ja. Die Romane von Männern überwiegen, nur sechs stammen von Schriftstellerinnen; der Suhrkamp Verlag ist mit fünf Titeln dabei, S. Fischer mit keinem, nicht einmal mit der Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe. Seltsamer-, aber auch gerechterweise ist das Verhältnis von Frühjahrs- und Herbsttiteln 2012 ausgeglichen. Selbst Wolfgang Herrndorfs im November 2011 erschienener, im Frühjahr schon mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneter und wirklich großartiger Roman „Sand“ ist dabei. Was wiederum die Frage aufwirft, warum nun zum Beispiel einer von Herrndorfs schärfsten Konkurrenten um den Leipziger Preis, Thomas von Steinäcker, keine Berücksichtigung fand?

Stattdessen Olga Grjasnowa mit ihrem Debüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ oder Frank Schulz mit „Onno Viets und der Irre vom Kiez“, die allerdings beide sehr lesenswert sind: der eine die Lebensgeschichte einer jungen Frau zwischen Baku, Frankfurt am Main und Tel Aviv erzählend, der andere die eines Mittfünfzigers und Hartz-IV-Empfängers vom Hamburger Kiez. Man nennt das wohl ausgleichende Gerechtigkeit, wurden diese Romane in Leipzig eben nicht berücksichtigt. Genau wie Bernd Cailloux mit dem 68er- und Westberlin-Roman „Gutgeschriebene Verluste“, der mit seiner jetzigen Nominierung auf eine weitere Auffälligkeit dieser Liste hinweist: Wie er sind hier mehrere ältere, honorige, zum Teil bei einem großen Publikum noch nicht durchgesetzte Schriftsteller vertreten. Allen voran der 84-jährige Ernst Augustin mit seinem kunstvollen und fantastischen Abenteuerroman „Robinsons blaues Haus“. Und der 59-jährige, in Los Angeles lebende Patrick Roth mit seiner Josephsvariation „Sunrise. Das Buch Joseph“.

Dagegen ist der kürzlich 70 Jahre alt gewordene Sten Nadolny mit „Weitlings Sommerfrische“ ein Publikumsschwergewicht. Und auch der 1951 geborene Bodo Kirchhoff würde sich vermutlich als „Erfolgsautor“ bezeichnen. Sein Opus magnum und Liebes- und Eheroman „Die Liebe in groben Zügen“ gehört unbedingt auf diese Liste, wenn nicht gar auf die sechs Titel umfassende Shortlist des Deutschen Buchpreises, die am 12. September bekannt gegeben wird. Ob es Angelika Meier mit „Heimlich, heimlich mich vergiss“ darauf schafft? Oder Milena Michiko Flasar mit „Ich nannte ihn Krawatte“? Eher schon Jenny Erpenbeck mit ihrem Familien- und Todesbuch „Aller Tage Abend“, Christoph Peters mit dem Internatsroman „Wir in Kahlenbeck“, Stephan Thomé mit seinem Roman über einen bürgerlichen Scheiterer, „Fliehkräfte“, oder Clemens J. Setz gewohnt experimentierfreudiges Buch „Indigo“. Übrigens ist es sicher, dass der Krimi des mutmaßlich deutschen Autorenduos Per Johansson nicht nachnominiert wird. Soviel Welthaltigkeit muss dann doch nicht sein. Gerrit Bartels

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