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Kultur: Deutsches Doppel

Im Bilderstreitraum: Neuhardenberg widmet der Berliner Ausstellung „Kunst in der DDR“ ein Symposium

Zehntausend Besucher allein am ersten Wochenende, ein Medienecho, das die kühnsten Erwartungen übertrifft: Mit der Resonanz können die Organisatoren der Ausstellung „Kunst in der DDR“ in der Berliner Neuen Nationalgalerie wahrlich zufrieden sein. Umso mehr, als dies nicht selbstverständlich erschien. Noch sind die Auseinandersetzungen gut in Erinnerung, die ähnliche Unternehmungen in der Vergangenheit begleitet hatten. Die heftigen Polemiken, die der damalige Direktor der Neuen Nationalgalerie Dieter Honisch 1993 mit der Konfrontation von Bildern aus Ost und West hervorrief; die Irritationen, als vier Jahre später Eckhardt Gillen in der Schau „Deutschlandbilder“ Gemälde von Ernst Wilhelm Nay und Willi Sitte einander gegenüberstellte – von Reaktionen auf Aufklärungsversuche über die „Auftragskunst der DDR“ im Deutschen Historischen Museum oder den „Aufstieg und Fall der Moderne“ bei der Skandalausstellung 1999 in Weimar ganz abgesehen.

Kein Streit, nirgends?

Heute aber finden prominent besetzte Tagungen statt wie an diesem Wochenende das Symposion „Bilderstreit – die Debatte um die Kunst aus der DDR“ im Schloss Neuhardenberg, und der Moderator einer Diskussionsveranstaltung fragt unwidersprochen in die Runde, ob es denn tatsächlich etwas gebe, über das sich noch zu ereifern lohne. Verwundert spitzt man da die Ohren. Bisher lag der Fall nicht so eindeutig. Im Gegenteil, man musste den Eindruck gewinnen, die Fronten zwischen Ost und West hätten sich seit 1989 eher verhärtet. Gerade im Westen machten Ausstellungshäuser und Museen um die Kunst in der DDR immer größere Bögen, und Retrospektiven wie jene von Wolfgang Mattheuer im letzten Jahr blieben geopolitisch betrachtet eine rein ostdeutsche Angelegenheit. Und nun soll sich das Ganze mit einem Mal in Wohlgefallen aufgelöst haben? Kein Streit, nirgends?

So schien es zumindest am Anfang der Tagung in Neuhardenberg. Die Atmosphäre ruhig, die Teilnehmer alles alte Hasen. Außer den beiden Machern der aktuellen Berliner Ausstellung – Eugen Blume und Roland März von den Staatlichen Museen – auf dem Podium: Karin Thomas, Cheflektorin beim Kölner Dumont-Verlag, Ronald Paris, Maler, Kunstprofessor und Träger des „Nationalpreises der DDR“, Klaus Werner, Gründungsdirektor der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst, sowie Axel Hecht, Chefredakteur der Kunstzeitschrift „Art“ und Mitinitiator der bahnbrechendenden Schau „Zeitvergleich – Malerei und Grafik aus der DDR“, die 1982/83 in mehreren westdeutschen Städten zu sehen war.

In diesem Kreis herrschte wundersame Einigkeit darüber, dass der Kunst in der DDR mehr Aufmerksamkeit gebühre als bislang, dass die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie überfällig, gelungen und auch sonst keinen Grund zur Aufregung biete. Zaghafte Vorstöße von Paul Kaiser und Gisbert Porstmann (beide Dresden), Spannung in die Debatte zu bringen, verpufften im Nichts. Um Konfliktpotenzial zu entdecken, musste man schon genau hinhören. So teilten sich die Meinungen in zwei Fraktionen: Die einen fanden, es sei an der Zeit, die Künstler der DDR endlich vom Ballast der Geschichte zu befreien und ihre Arbeiten als autonome Werke zu betrachten. Die anderen meinten, dass noch mehr Aufklärung über Entstehungsbedingungen und die geschichtlichen Zusammenhänge nötig wäre, um dieser Kunst wirklich gerecht zu werden.

Und doch fiel auf, dass einiges fehlte: So wenig sich jemand finden wollte, der diese Kunst in Grund und Boden verdammte, so wenig waren die Tagungsteilnehmer bereit, flammende Fürsprachen zu halten und in Begeisterungsstürme auszubrechen. Von der Ästhetik war wieder einmal bloß am Rande die Rede, und es war bezeichnend, dass Eckhardt Gillen seinen Vortrag über den Leipziger Bernhard Heisig mit der Bemerkung eröffnete, er sei lange gar kein Freund von Heisigs Bildern gewesen. Statt Elogen dominierten die Relativierungen, die Erklärungen und historischen Einordnungen: Werner Hofmann, Buchautor und früher Leiter der Hamburger Kunsthalle, plädierte eloquent und mit großem Wissen dafür, das Besondere der Kunst der DDR als „Nationalkunst“ zu erkennen, in dem er entsprechende ZK-Beschlüsse mit anderen Revolutionskünsten und Manifesten von Goethe über die französische Revolution und Nietzsche bis zu Ernst Ludwig Kirchner verglich. Selbstwidersprüche wie diese, so Hofmann, seien Merkmale der deutschen Kunst, und zwar diesseits wie jenseits der ehemaligen Demarkationslinien.

Alles Propaganda?

Ohne die „grässlichen Stasi-Aktivitäten“ verleugnen zu wollen, erinnerte im Anschluss daran FAZ-Redakteur Eduard Beaucamp, einer wichtigsten (und lange Jahre der einzige) Verfechter der DDR-Kunst, an die Verstrickungen, die nicht nur die Künstler im Osten, sondern auch die im Westen im Grunde unfrei machten: an den Kunstmarkt und dessen rigide Gesetze oder an die in regelmäßigen Abständen von der Forschung analysierten CIA-Aktivitäten bei der Durchsetzung der abstrakten Malerei zu propagandistischen Zwecken.

Einzig Heinz Bude, Soziologe in Hamburg und Kassel, wollte sich diesem Verständnis für die anderen im „doppelten Deutschland“ (Hofmann) nicht anschließen. Für Bude unterscheiden sich die zwei deutschen Kunstgeschichten fundamental: Auf der einen Seite die tragische Selbstdefinition als antifaschistische Kunst (Ost), auf der anderen Seite vorbehaltlose Ironie (West). Die einen seien von Picasso, Leger und Grosz geprägt, die anderen von Duchamp, Twombly und John Cage – und zwischen diesen Gegensätzen werde es wohl noch auf Jahrzehnte kaum Annäherung geben können. Der Bilderstreit ist längst nicht zu Ende. Wahrscheinlich fängt er jetzt erst gerade an.

Ulrich Clewing

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