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Geisterstunde. Judith Hofmann (li.) in der Uraufführung von Rafael Sanchez.

© A. Declair

Deutsches Theater: Gebt mir mein Herz zurück!

Zwei unterschiedliche Humorsorten neutralisieren sich gegenseitig: "Nur Nachts" von Sibylle Berg als trashige Revue im Deutschen Theater.

Peter (Peter Moltzen) gehört nicht direkt zu den Alphamännern seiner Generation. „Ich war als Kind immer der, der den Mädchen die Fahrräder reparieren konnte, mit denen fuhren sie dann mit anderen Jungen in die Natur“, erkennt er sein Problem messerscharf. Auch Peters Altersgenossin Petra (Judith Hofmann) ist aus plausiblen Gründen Single geblieben. „Sorry, du bist echt nett und alles“, hatte ihr letzter Freund vor 20 Jahren seine Trennungsabsichten begründet. „Aber wenn wir verabredet sind in einem Restaurant, weiß ich nie, wer du bist, weil ich vergessen habe, wie du aussiehst.“

Mit gewohnt bösartigem Humor stürzt sich Sibylle Berg in ihrem Stück „Nur Nachts“ auf ihr Lieblingssujet: Den mediokren Zeitgenossen, der die straffsten Jahre und somit auch die knackigsten Illusionen hinter sich hat. Diesmal lässt die Autorin ihre Spätsingles in einer Art Stationendrama aufeinandertreffen. „Romantischer Neuanfang mit Mitte vierzig“ lautet die Versuchsanordnung, die für das Paar in spe täglichen Horror bedeutet: „Vor jeder Begegnung fürchteten sie sich, denn sie hatten Angst, noch nicht einmal von jemandem mit gleich geringem Marktwert gewollt zu werden.“ Und damit Peter und Petra ihre Paranoia auch ja nicht loswerden, assistieren ihnen zwei böse Geister (Natali Seelig und Christoph Franken) bei der Anti-Beziehungsarbeit. Unter dem Motto „spätes Elternglück“ suchen sie das Paar etwa als plärrende Zwillingsbabys heim. Aufs Stichwort „Sozialneid“ trampeln sie Peter und Petra als befreundetes Jetset-Paar auf Füßen und Seelen herum. Und als aggressiv schlecht gelaunte Überväter schieben sie ihren Nachttopf noch im Altenheim zwischen die beiden.

Rafael Sanchez, der zusammen mit Barbara Weber das Zürcher Neumarkt-Theater leitet, hat „Nur Nachts“ jetzt als eine Art Trash-Revue auf die Kammerbühne des Deutschen Theaters gebracht. Und man muss durchaus fasziniert feststellen, dass man lange nicht zwei derart unterschiedlichen Humorsorten bei der gegenseitigen Neutralisierung zusehen durfte! Während Bergs Text schlank und spitz auf Pointen zuläuft, inszeniert Sanchez gleichsam in die Breite. Er malt die böshumorige Midlife-Satire mit einer Überfülle bewusst plakativer Regieeinfälle aus: Das Geister-Duo wächst sich nach und nach zu einer 30-köpfigen Gespensterarmee aus. Auf Videowände werden effektsichere Schattenrisse projiziert. Eine abgehackte Hand dient als Kalauerstoff für das gesamte semantische Feld von „Händler“ über „Handschuhfach“ bis zu „Handke, Peter“. Vor allem aber ruft Sanchez, natürlich mit gebotener Ironie, immer wieder Ikonen des altersgerechten Pop auf.

Das ist bisweilen ganz lustig. Zum Beispiel, wenn Christoph Franken als kreischendes Riesenbaby droht: „Dann will ich euch mal zeigen, wie Elternglück geht“ und anschließend mit Herbert Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ die kompensatorische Fürsorge seiner späten Eltern zurückweist: „Gebt mir mein Herz zurück“, brüllt er aus seiner Windelhose heraus, „ich brauch eure Liebe nicht!“

Oft aber hebt der Inszenierungsulk den Zynismus des Textes einfach auf. Davon ausgenommen bleiben die Szenen, in denen sich die Gespenster mal im Hintergrund halten und den beiden Ex-Singles allein das Feld überlassen. Judith Hofmann spielt die Petra nämlich mit einem durchaus markanten Witz. Und Peter Moltzen, der hier in Verklemmungschoreografien von fast Marthalerschen Gnaden brillieren darf, sah man lange nicht so gut.

In einem Punkt allerdings treffen sich Text und Inszenierung hervorragend: Die Nabelschau des „gepflegten Durchschnitts“ (Berg) beschwört ein ebenso von globaleren Problemen unangekränkeltes Neunziger-Jahre-Gefühl herauf wie Sanchez’ poppige Spaßtheater-Mittel. Falls das ein subtiler Fingerzeig gewesen sein sollte, ist er gelungen.

Wieder am 29.11., 20 Uhr und 8.12., 20.30 Uhr

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