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Deutsches Theater: Yeah, yeah!: "Das goldene Vließ"

Vorgeschichte im Schnelldurchlauf: David Bösch inszeniert „Das goldene Vließ“ am Deutschen Theater

Es ist ein Ende in großer Ratlosigkeit. Da sitzt der Jason vor dem Zelt, in dem seine toten Kinder liegen, was er noch nicht weiß, stellt die Reiseköfferchen der Söhne neben sich und ihre Gummistiefelchen, und schaut schweigend in die Ferne. Die letzte Begegnung mit seiner Gattin, der mörderischen Mama Medea, sie wird in David Böschs Inszenierung von Grillparzers „Das goldene Vließ“ nicht mehr stattfinden, Medeas moralischen Imperativ „Trage! Dulde! Büße!“ muss sich der Mann nicht mehr anhören. Stattdessen scheint eine Frage auf, die meistens nicht im Fokus ist: ob hier nicht auch ein wahrhaft liebender Vater seine Welt in Trümmer gehen sieht. Gute Frage. Nur leider ist es für die Antwort schon zu spät.

Der Anfang hingegen steht in den Sternen. In einem vernebelten Kosmos aus nackten Glühbirnen, der womöglich auf Medeas mythosgemäße Himmelfahrt im Drachenwagen des Helios anspielt, tritt Tino Mewes als Medeas Bruder Absyrtus an, um die ersten beiden Teile der Grillparzer-Trilogie kurz und kalauernd an der E-Gitarre abzufeiern, was immerhin musikalisch nicht danebengeht, weil Mewes neben seinem Schauspielerleben auch eine Band betreibt. Es hat also, wie wir erfahren, den Phryxus nach Kolchis verschlagen, wo er Schutz sucht, aber den Tod findet, weil König Aietes ihm das goldene Vlies abknöpfen will, dieses sagenhafte Widderfell. Absyrtus findet das nicht in Ordnung, „Mein Vater, die Sau!“, skandiert er. Ende des ersten Teils, „Der Gastfreund“. Auch die Griechen sind verständlicherweise sauer, weswegen sie unter Jasons Führung mit der Argo ins Barbarenland aufbrechen, um den Freund zu rächen und das Gold zurückzuerobern. Jason verliebt sich in die schöne wilde Kolcher-Prinzessin („Jason sieht Medea, Medea sieht Jason, yeah!“), schnappt sich die Frau und das Vlies und flieht. Absyrtus wird das alles zu viel, er bringt sich um. Ende: „Die Argonauten“. Damit wären die ersten 110 Reclam-Seiten geschafft, eine Vorgeschichte im Akkord.

Nun war es schon zu Grillparzers Zeiten Mode, gleich in medias Medea zu gehen und nur den dritten Teil zu spielen, das ist nicht unbedingt eine Regie-Grille des David Bösch. Warum dann nicht aber gleich die „Medea“ des Euripides oder Seneca? Weil Grillparzer, im Gegensatz zu den anderen, „um jede seiner Figuren kämpft“, wie Bösch im Programmheft-Gespräch mit seinem Dramaturgen John von Düffel befindet, der ihm eine schlanke 90-Minuten-Fassung der antikischen Schatzsucherdichtung aus dem Wien des Jahres 1821 erstellt hat. Nicht nur um Verständnis für die Bluttat der Medea geht es ihm, sondern auch um Gerechtigkeit für Jason, diesen gern als Macho-Krieger und Frauen-Kolonisierer Geschmähten. Aber um wirklich Mitgefühl für den Mann zu entwickeln, den Alexander Khuon mit dem gereizten Überdruss des Entliebten spielt, um zu verstehen, was er mit dem Selbstentfremdungs-Bekenntnis meint: „Ich bin nicht, der ich war, die Kraft ist mir gebrochen“, müsste man schon wissen, wer er war. Da fehlt die Fallhöhe des Vorspiels doch.

Bösch zeigt in „Medea“ eine Paarbeziehung in der Krise, nicht den Clash der Kulturen, auf den in Grillparzer-Deutungen gern abgehoben wird. Das Korinther Exil von Jason und Medea, eine weiß verstaubte Trümmerlandschaft mit Schrottmobiliar und Rehfiguren (Bühne: Patrick Bannwart), ein Bambiland für Asylsuchende, ist auch der äußere, durchaus bildstarke Spiegel der ruinierten Leidenschaft. Die Liebe ist schon zu Beginn gestorben: Sie hängt Wäsche auf, er wütet.

Bösch gilt aus gutem Grund als Regisseur, der sich auf große Emotionen versteht, der weder Kitsch noch Pathos fürchtet – aber hier vermittelt er kaum ein Gefühl für die Tragik der beiden, weil ihre Fremdheit in der Fremde keine Restvertrautheit spüren lässt. Die stärksten Szenen gehören der hervorragenden Katrin Wichmann als Medea, der Jasons Jugendliebe Kreusa als Nebenbuhlerin vorgesetzt wird (zum netten Mädchen verharmlost: Claudia Eisinger), die von König Kreon verleumdet wird (eine Karikatur der Machtarroganz: Sven Lehmann), und die schließlich isoliert und abgeschoben von der duldsamen Strickjackenmutti zur tödlich Verletzten wächst. Bloß bleibt sie damit in jeder Hinsicht einsam. Es ist ein Abend der leeren Begierden, so ungreifbar wie das titelgebende Vlies.

Wieder 23. und 28. Oktober

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