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Kultur: "Deutschland ruckt!": Sympathisch, aber schwer verdaulich: Vorschläge der "Generation Ruck" zu Staat und Gesellschaft

Zu Anfang die gute Nachricht: Die jungen Deutschen im Alter zwischen 20 und 30 sind nicht so selbstbezogen und hedonistisch, wie ihr Bild in der Öffentlichkeit glauben macht. Wer nach jüngeren Publikationen davon ausging, die Welt der "Generation Golf" setze sich zusammen aus Uli-Knecht-Hemden, Newton-Organizern, Ray-Ban-Brillen, Fruchtzwergen und Börsenkursen, muss jetzt umdenken.

Von Hans Monath

Zu Anfang die gute Nachricht: Die jungen Deutschen im Alter zwischen 20 und 30 sind nicht so selbstbezogen und hedonistisch, wie ihr Bild in der Öffentlichkeit glauben macht. Wer nach jüngeren Publikationen davon ausging, die Welt der "Generation Golf" setze sich zusammen aus Uli-Knecht-Hemden, Newton-Organizern, Ray-Ban-Brillen, Fruchtzwergen und Börsenkursen, muss jetzt umdenken. Rund 30 gebildete junge Menschen hat Daniel Dettling aufgefordert, ihre Vorstellungen vom künftigen Zusammenleben aufzuschreiben, und die Ergebnisse in dem Band "Deutschland ruckt!" gesammelt. Und da zeigt sich: Junge Menschen stöhnen nicht nur "Ich und mein Magnum" vor sich hin, sie bekennen ebenso leidenschaftlich: "Ich und meine Verantwortung".

Als Vertreter der ersten deutschen Generation nach dem Ende des Kalten Krieges und der Einigung Europas verstehen sich die "ruckenden" Autoren. Wer anders als sie weit vor dem Jahr 1970 geboren ist, lernt, dass sie sich längst von der "Bonner Republik" verabschiedet haben - für sie ist diese Phase der deutschen Politik Geschichte. Die alte Bundesrepublik (West) war nach Meinung von Herausgeber Dettling viel zu erfolgreich, um die Kraft zu den heute überfälligen Reformen aufbringen zu können.

Aber auch der Wirklichkeit der Berliner Politik greifen die jungen Wissenschaftler, Journalisten und Politiker in ihren Grundüberzeugungen weit voraus. Sie sind sehr skeptisch dem Sozialstaat gegenüber, ohne deshalb etwa unsozial zu denken. Sie vertrauen der Zivilgesellschaft und der Bereitschaft von Menschen, freiwillig Aufgaben für die Gemeinschaft zu übernehmen. Sie sehen den Staat als Akteur unter anderen, sie wollen die politische Beteiligung von Bürgern stärken und dafür moderne technische Mittel (Internet) nutzen. Und wie viele, die in den vergangenen Jahren für die junge Generation gesprochen haben, fordern sie Nachhaltigkeit im Umgang mit Ressourcen und ein Ende des Betrugs der Jungen im Rentensystem. Und Europa endet für sie nicht an der Oder.

Sympathisch wirkt, dass ein Sündenbock für Fehlentwicklungen gar nicht erst gesucht wird. Die Grundstimmung des Buches ist: Aufbruch statt Abrechnung. Hier werden keine "68er" karikiert, wird keinen Sozialstaatsvertretern der Betonfraktion der Prozess gemacht. Es geht um Vorschläge - getreu der Überzeugung, dass sich Lösungen für politische und soziale Probleme in Zukunft nicht an einem zentralen Ort entwickeln und von oben nach unten verordnen lassen, sondern nur in "Netzwerken", im Dialog der vielen Gleichberechtigten, erarbeitet werden können. In Netzwerken bezieht sich einer auf den anderen - und auch in den gut 30 Beiträgen zu Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wird eifrig auf die anderen Aufsätze verwiesen.

Vielleicht etwas zu eifrig. Überhaupt hat der Band neben einigen Vorzügen manche Mängel: Die Autoren, die meisten von ihnen unter 30, schreiben ein verquastes Wissenschaftsdeutsch, das jeder Anschaulichkeit entbehrt. Zu einer Generation gehören gemeinsame prägende Erfahrungen und eine gemeinsame Sprache. Die sucht man vergebens. Gibt es womöglich gar keine "Generation Ruck"? Jedenfalls lesen wir in dem Buch nichts davon, was sie ausmacht.

Es ist richtig, dass einfache Lösungen, perfekte Vorgaben, staatlich verordnete Regelungen für Gesellschaftsfragen heute misstrauisch stimmen. Um so wichtiger, um so interessanter sind Erfahrungen und Beispiele, wie Gruppen mit einem Problem fertig werden. Doch Menschen kommen in dem Buch nicht vor. Im offenen Dialog will die Gruppe um den Herausgeber Daniel Dettling (" www.berlinpolis.de ") die Zukunft diskutieren. Das verspricht ein mühsamer Prozess zu werden.

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