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Kultur: Dia-Projekt: Die Glotze als globale Leitkultur

Wo früher im Haus der Herrgottswinkel war, steht heute der Fernsehapparat. Wie es dazu kam beschrieb Martin Warnke einst in seinem wunderbaren Essay über die "Couchecke".

Von Caroline Fetscher

Wo früher im Haus der Herrgottswinkel war, steht heute der Fernsehapparat. Wie es dazu kam beschrieb Martin Warnke einst in seinem wunderbaren Essay über die "Couchecke". In eine zentrale Position gerückt, auf die sich das übrige Mobiliar ausrichtet, thront der Apparat, globaler Hausfreund aller Erdenbürger von Tokyo bis Toronto auf seinem Sockel oder Tischchen, unterhält uns und baut an zentraler Stelle an unseren symbolischen Systemen mit.

Dorothee Wenners Dia-Projekt "Der Fernseher in seiner natürlichen Umgebung" ist eine leidenschaftliche Hommage an den Fernseher und seine Nutzer im privaten wie öffentlichen Raum. Wenner begibt sich als Autorin und Regisseurin häufig auf Fernreisen, wo ihr die Fernseher in allen Kulturen und Situationen begegnen - Fernseher, im eben dargelegten doppelten Sinn. Mit liebevollem Hintersinn macht Wenner seit Jahren fotografische Notizen für ihr Projekt. Unterstützt wird sie dabei von dem Berliner Dia-Sammler und Autor Helmut Höge und von zahllosen kooperierenden Freunden. Zum Material für "Der Fernseher in seiner natürlichen Umgebung" gehören auch Zufallsfunde auf Flohmärkten und Ramschverkäufen, wo ganze Fotoalben oder Diakästen erworben werden können, wovon die Sammler eifrigen Gebrauch machen.

Ein außerordentlich vergnügtes wie interessiertes Publikum erschien am Dienstagabend in den Kreuzberger Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) um Wenners Dia-Vortrag im Rahmen der Reihe "Dia-Slide-Transparency" zu folgen. Wo finden wir ihn überall, den Fernseher, ohne dass uns seine zentrale Rolle noch ins Auge fällt! Nicht nur daheim ("Fernseher im Wohnzimmer"), geschmückt mit zwei Mainzelmännchen und der schlanken Skulptur einer Afrikanerin. Auch in Afrika sehen wir ihn, wo stolze Besitzer ein Portable als Statussymbol auf zwei Tragestangen mit sich führen. Wir finden den Fernseher auf dem Friedhof am Stadtrand von Manila, wo philippinische Familien einen Apparat dabei haben, damit beim zweitätigen Totenfest kein Zank entsteht, der die Geister erzürnen könnte ("Fernseher im Freien").

In Kneipen und Restaurants wird der Fernseher gern auf erhöhte Podeste montiert - damit alle gut sehen können, aber auch, erläutert Wenner, um das Diebstahlsrisiko zu minimieren. An transitorischen Orten entdecken wir den Fernseher, in Hotelhallen, Bahnhöfen, Flughafenlobbys und sogar einmal zwischen zwei Cashpoints eingelassen in die Wand eines Bankgebäudes. Im öffentlichen Raum spielt der Fernseher mitunter eine kollektivstiftende und streitschlichtende Rolle. Auch wenn kaum einer hinsieht und man den Ton vor lauter Lärm gar nicht hört, scheint es etwas Beruhigendes zu haben, dass der Fernseher läuft.

Eher lieblos verfahren Intellektuelle mit dem Fernsehgerät. Sie schmücken es nicht, bedecken es nicht mit Gesticktem und Nippes, stellen es oft achtlos in eine Ecke, und in einem Fall zu beobachten, verkleiden das Gerät sogar schamhaft mit Bücherstapeln. Ganz eindeutig unterschätzen viele Intellektuelle den Wert ihres Hausfreundes, und manche Zuhörer im Saal fühlten sich ertappt. Fernsehen ist weltweite Leitkultur, schon diese Einsicht löst manche Frage.

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