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Kultur: Die 120-Minuten-Terrine

Ob es eine Erklärung dafür gibt, dass für Klassik-Konzerte die Normlänge von zwei Stunden gilt? Man muss sich die Absurdität dieses ehernen Gesetzes einmal vor Augen halten: Egal wie anstrengend die Musik ist und wie viel Probenzeit sie braucht – das Publikum bekommt immer die gleichen anderthalb Stunden plus Pause vorgesetzt.

Ob es eine Erklärung dafür gibt, dass für Klassik-Konzerte die Normlänge von zwei Stunden gilt? Man muss sich die Absurdität dieses ehernen Gesetzes einmal vor Augen halten: Egal wie anstrengend die Musik ist und wie viel Probenzeit sie braucht – das Publikum bekommt immer die gleichen anderthalb Stunden plus Pause vorgesetzt. Die Jahrzehnte währende Gewöhnung hat Klassikhörer sogar schon soweit konditioniert, dass sie mit den Hufen zu scharren beginnen, wenn Dirigenten wie Kent Nagano um einer Programmidee willen eine Viertelstunde „überziehen“. Und andersherum fühlen sich Etliche betrogen, wenn sie früher als erwartet heimgeschickt werden. Die Sache ist umso merkwürdiger, weil erstens das Publikum im 19. Jahrhundert locker vierstündige Konzerte wegsteckte und zweitens das gleiche Publikum, das in der Philharmonie um Viertel nach zehn schon nervös die Garderobenmarke in der Hand hält, sich klaglos auch eine fünfstündige Wagner-Oper anhört. Initiativen, die die Zwei-Stunden-Regel in Frage stellen, sind jedenfalls hoch willkommen, auch weil Festivals wie die „Folle journee“ in Nantes längst gezeigt haben, dass kürzere Konzerte durchaus ein neues, neugieriges Publikum erschließen können. Für alle, denen am Donnerstag das Philharmoniker -Konzert mit Christian Thielemann zu lang (oder auch zu kurz) ist, bietet das Orchester selbst im Hermann-Wolff-Saal der Philharmonie einen solchen Ersatz.

In der Reihe „Carte blanche“, in der sich die Musiker einzeln oder in kammermusikalischen Kleingruppen präsentieren, steht diesmal (17.45 Uhr) das knapp vierzigminütige Streicheroktett von Georges Enescu auf dem Programm – sonst nichts.

Am Donnerstag lässt sich ahnen, wie der Komplex von Sälen verschiedenster Größe in und um die Philharmonie auch funktionieren könnte: als Multiplex- Arena. Nach dem Enescu-Oktett hat man nicht nur die Wahl zwischen dem Stracellisten Misha Maisky , der mit Unterstützung eines Luxemburger Kammerorchesters Saint-Saens’ flottes erstes Cellokonzert (nebst Auffüllung auf Normlänge) spielt und der „Alpensinfonie“ mit Thielemann. Direkt daneben, im Musikinstrumentenmuseum , bietet der junge kanadische Pianist Ludwig Semerjian nämlich auch noch ein historisierendes Kontrastprogramm: Anhand dreier Sonaten und der c-moll-Fantasie gibt es die seltene Gelegenheit, Mozart auf einem originalen Hammerflügel der Mozartzeit aus der Augsburger Klavierbauer-Werkstatt von Johann Andreas Stein zu hören.

Jörg Königsdorf

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