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Kultur: Die Abgründe des Gewöhnlichen

Frappante Verführung: eine Ausstellung in Frankfurt (Main) über Kafkas Verlobte Felice BauerVON RUTHARD STÄBLEINDa grübeln seit Jahrzehnten Germanisten aus aller Welt immer wieder über den gleichen Stellen und errichten darauf einen Turmbau zu Kafka, der ins Unendliche reicht.Daneben aber liegt ein Feld brach, und einer kommt und bohrt.

Frappante Verführung: eine Ausstellung in Frankfurt (Main) über Kafkas Verlobte Felice BauerVON RUTHARD STÄBLEINDa grübeln seit Jahrzehnten Germanisten aus aller Welt immer wieder über den gleichen Stellen und errichten darauf einen Turmbau zu Kafka, der ins Unendliche reicht.Daneben aber liegt ein Feld brach, und einer kommt und bohrt.Reiner Stach, der an einer Kafka-Biographie schreibt, hat jetzt eine Probe seines Spürsinns gegeben.Er hat das Leben von Felice Bauer, der zweimaligen Braut Kafkas untersucht, seiner wohl wichtigsten Briefpartnerin.Daß sich "F.B." in ein Projektionsbild virtuell verflüchtigen konnte, lag an Kafka selbst.Er hat an ihrem "Zeugnis" wahrgemacht, was er für sein eigenes testamentarisch verfügte.Er hat ihre Briefe und ihre Fotos nach der zweiten, definitiven Entlobung verbrannt.Stach fand für diese einseitige Korrespondenz ein stupendes Bild.Es ist so, als würde Kafka mit einem Handy telefonieren.Man hört und sieht die Gegenseite nicht.In der Deutschen Bibliothek Frankfurt (Main) werden eine Reihe von Dokumenten der Felice Bauer erstmals ausgestellt.Die Stenotypistin war kein Dummchen und auch kein unbeschriebenes Blatt.Sie wurde 22jährig "Direktrice" einer modernen Firma, die einen "Parlographen" vertrieb, heiratete später einen Bankier, brachte mit ihrer Handarbeit im amerikanischen Exil ihre Familie über die Runden.Beeindruckend ist ihr Bücherschrank mit Werken von Strindberg und Freud, der jetzt zu sehen ist.Beeindruckender sind die Fotos, die das harte Urteil Kafkas bestätigen: "knochiges leeres Gesicht, fast zerbrochene Nase, etwas steifes reizloses Haar".Zum andern zeigen sie eine lachende, virtuose Frau, die den Dichter aus der freiwilligen Isolationshaft, aber damit wohl auch vom Schreiben hätte befreien können.Höhepunkt der Ausstellung ist ein Daumenkino, das im Video rekonstruiert, wie Felice Bauer am Parlographen arbeitet: mit flinken Händen, lebenstüchtiger Geistespräsenz, ausgeprägter Souveränität.Jetzt wird verständlich, wie Felicens "frappant freimütiges Auftreten" bei Kafka eine Schreibexplosion auslösen konnte.Wie Felice die Versuchung werden konnte, in Abgründe des Gewöhnlichen und Wonnen des Normalen abzutauchen: Ein verdunkeltes Frauenbild wird sichtbar.

RUTHARD STÄBLEIN

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