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Kultur: Die armen Weber

Ein

von Rüdiger Schaper

Berlin, anno 1894. Am Deutschen Theater werden „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann erstmals öffentlich gespielt. Nach langer Auseinandersetzung hatte das Kgl. Preußische Oberverwaltungsgericht das Verbot des Stückes endlich aufgehoben. Wilhelm II. kündigte daraufhin die Kaiserloge im Deutschen Theater – wegen der „demoralisierenden Tendenz“ des wuchtigen Dramas über den Aufstand der verelendeten schlesischen Textilarbeiter von 1844. „Die Weber“ machten Epoche. Welttheater!

November 2004. Die Zensur ist abgeschafft. Und das Berliner Landgericht verbietet dem Staatsschauspiel Dresden die umstrittene „Weber“Aufführung, in der drastische Sätze Dresdner Bürger über den sozialen und politischen Zustand Deutschlands eingearbeitet sind. Ob und in welcher Form die für heute Abend geplante Vorstellung laufen kann, steht dahin. Die Zensur ist abgeschafft. Es gilt das Urheberrecht.

Gratulation! Der Bühnenverlag Felix Bloch Erben (Berlin) hat im Namen Gerhart Hauptmanns einen wahrhaft wilhelminischen Sieg errungen. Es zeugt von beträchtlicher Geschichtsvergessenheit, ausgerechnet „Die Weber“ – und sei es in einer zeitgenössischen, fortgeschriebenen Form – nach über hundert Jahren erneut verbieten zu lassen. Auch vor den Berliner Richtern kann man nur die Pickelhaube ziehen. Das Verbot wird mit „gravierenden Eingriffen in die Wertungsintensität“ des Textes begründet. Das klingt wie ein Echo von Wilhelm Zwo – und, im Osten, nach Siegerjustiz.

Alles blickt nach Dresden, als hätten sie dort soeben das naturalistische Theater erfunden. Vielleicht trifft das ja zu: Regisseur Volker Lösch hört nur hin, was Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger in spe zu sagen haben. Hässliche, lustige, pubertäre, verzweifelte, wütende Sätze über den Kanzler, die Bürokraten und über Sabine Christiansen, die selbst auch gegen die Dresdner „Weber“ juristisch vorgeht. Man mag die Inszenierung, die bräunliche Tendenzen in Sachsen widerspiegelt, aus künstlerischen Gründen ablehnen und verreißen. Sie mit der Keule des Gesetzes niederschlagen – das ist jetzt wirklich ein Skandal.

Der greise Gerhart Hauptmann sinnierte 1943 über seine armen, alten „Weber“: „Wieso ist ein so kleines lokales Ereignis durch mein Drama über die Welt gegangen? – Weil irgend etwas in vielen Ländern Gemeinsames darin mitschwang.“ Heute nennt man es Globalisierung. Und die Menschen haben ähnliche Sorgen und Ängste.

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