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Kultur: Die Aura einer Silberscheibe

Der unaufhaltsame Lauf der Dinge: Kunst im Zeitalter der digitalen Kopierbarkeit

Von Ronald Berg

Als Walter Benjamin vor rund 70 Jahren den Tod des auratischen Kunstwerks ausrief, lag er voll daneben. Noch heute erfreut sich das Original einer solchen Wertschätzung, dass sein Nimbus auch auf Bildmedien ausgedehnt wird, die Dank der Digitalisierung tatsächlich „unendlich reproduzierbar“ sind. Die Fotografie, Benjamins Paradebeispiel für den Verfall der Aura, hat inzwischen sogar noch an auratischer Qualität dazugewonnen: Vintage-Prints werden als Raritäten hoch gehandelt, und in der Gegenwartskunst entstehen heute fotografische Formate, die früher Historienbildern vorbehalten waren – und sie werden auch so teuer gehandelt wie Gemälde.

Ein Kniff der Galeristen half bei diesen Wertsteigerungen etwas nach: die Limitierung der Auflage. Was bei Druckgraphik durch die Abnutzung des Druckstocks seine technische Erklärung findet, ist im Falle des fotografischen Negativs allerdings ohne Logik, und wird bei digitalen Medien vollends absurd. Eine CD oder DVD existiert nur als Kopie, ein Masterband – wie noch in der Frühzeit der Videokunst – existiert nicht mehr. Galerist Claes Nordenhake (Berlin / Stockholm) verkauft Videoarbeiten von Ann-Sofi Sidén, die zu den wichtigsten schwedischen Künstlerinnen gehört, in einer Auflage von drei Exemplaren. Bei „Warte mal!“, einer aufwändigen 13-kanaligen Videoinstallation mit fünf Projektionen und acht Kabinen für 60 000 Dollar, schreibt der Kaufvertrag bis ins kleinste Detail fest, wie die Installation einzurichten ist. Nichtsdestotrotz war die kleine Auflage schnell vergriffen.

Ist eine Limitierung bei komplizierten Installationen noch nachzuvollziehen, stellt sich bei einer vergleichsweise leicht handhabbaren Video-DVD die Frage der Limitierung erneut. „Die Sammler wollen das so“, erklärt Claes Nordenhake die gängige Praxis. Die Videokünstler sind mit den Kleinstauflagen einverstanden. Oft haben sie ja noch eine klassische Ausbildung in Malerei oder Bildhauerei hinter sich, wo der Bronzeguss einer Plastik traditionell auf sechs Exemplare beschränkt bleibt. Nordenhakes schwedischer Shooting-Star Magnus Wallin, Teilnehmer der Biennalen in Venedig und Istanbul, arbeitet mit zwei Mitarbeitern bis zu einem Jahr an seinen computer-animierten Videos. Er entwirft phantastische Spielhandlungen, in denen die Figuren Hieronymus Boschs im Lichtdom des Berliner Olympiastadions lebendig werden. Nordenhake verkauft Wallins Videos in einer Auflage von sechs Exemplaren für den Preis eines Mittelklassewagens. „Es geht nicht ohne den Authentizitätsanpruch des Kunstwerks“, meint Wallin selbst, der im Preis nicht nur den materiellen Wert, sondern vor allem den ideellen Wert seiner Arbeit gespiegelt sieht. Eine Auflage von drei DVDs für 25 000 Euro zu verkaufen und nicht 25 000 für drei Euro, macht Sinn, weil sich im Stückpreis die Wertschätzung des Künstlers am Markt ausdrückt.

Fischli/Weiss’ Video „Der Lauf der Dinge“ von 1987 für 45 Euro oder Pipilotti Rists DVD „54“ im Kreditkartenformat für 16,75 Euro, die über den Buchhandel vertrieben werden, bleiben die regelbestätigenden Ausnahmen. Tatsächlich ist der Kunstmarkt noch immer wie im 19. Jahrhundert organisiert. Die Leidenschaft der Sammler für den auratischen Kunstfetisch ist ungebrochen. Dabei sehen die kleinen Silberscheiben alle gleich aus. Wallin verkauft seine Videos deshalb aufwändig verpackt in einem großen Aluminiumkoffer, worin das Video auf verschiedenen Datenträgern untergebracht ist: Der Koffer enthält auch ein Zertifikat mit der Signatur des Künstlers – letzte Zufluchtstätte des Originals, das im digitalen Code keine Haftung findet.

Selbst Netzkunst hat inzwischen ihre Sammler, obwohl sie – genau genommen – nur virtuell existiert. Der Kunsthistoriker Hans Dieter Huber von der Kunstakademie Stuttgart hat zu diesem Zweck die Festplatte des Online-Künstlers Holger Friese für 1500 Euro erworben. Es will damit ein Zeichen setzen. Hubers Argument: Der Sammler bewahre unsere kulturelle Identität, indem er deren Zeugnisse vor dem Verschwinden sichere.

Andere Distributionsformen von Kunst auf neuen Medien außerhalb des traditionellen Markts sind selten. Das Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins verfügt über eine Sammlung von knapp 600 Werken der Videokunst (hauptsächlich auf Kassetten), die vor Ort am Bildschirm betrachtet werden können. Ausleihen – wie in der Artothek des NBK – sind nicht möglich, allein schon wegen der Gefahr des Raubkopierens. Durch Limitierung der Auflagen und die daraus resultierende Verteuerung wird es für das Video-Forum immer schwieriger bezahlbare Videoarbeiten zu bekommen. „Ich habe das Gefühl, ich laviere mich irgendwie durch und greife auch mal auf compilation tapes zurück“, verrät Kathrin Becker, die Leiterin des Video-Forums. Ohne Verleih, ohne öffentliche Screenings und ohne Werbung ist das in Deutschland einmalige Non-Profit-Unternehmen aber weder Alternative noch Konkurrenz zum kommerziellen Markt.

War Videokunst noch zu Fluxuszeiten als Kunst für die Massen durch Einsatz des Fernsehens gedacht, endet sie heute bestenfalls in Museen, falls die sie noch bezahlen können. Museumsleute wie Jean-Christophe Ammann wundern sich: „Ich verstehe den Preis nicht. Ich verstehe nicht, weshalb ein Video durch Kleinstauflagen Sammlern und Museumsbesuchern vorenthalten wird.“ Ob sich der Markt tatsächlich „irrt“, wie Amman meint, muss die Zukunft zeigen: Die digitale Revolution hat eben erst begonnen.

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