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Kultur: „Die Avantgarde hat ihre Kinder gefressen“

Dieter Brusberg kann sich für aktuelle Kunst nicht mehr begeistern. Der Galerist denkt ans Aufhören. Eine Bilanz

Herr Brusberg, wie würden Sie das Verhältnis zu Ihren Künstlern beschreiben?

Freundschaftlich und streitbar. Freundschaftlich zum Künstler, streitbar, was sein Werk betrifft. Kritische Auseinandersetzung muss sein, sonst wird daraus nichts.

Es ist bekannt, dass Sie auch auf die Arbeit im Atelier Einfluss nehmen.

Ich rede den Künstlern nicht in ihre Arbeit hinein und erwarte umgekehrt, dass die Künstler mir meine händlerische Autonomie lassen. Natürlich sage ich immer, ob mir ein Bild gefällt oder nicht. Und welche Bilder für mich in Frage kommen und welche nicht. Ich wähle aus und werte: als Liebhaber und Händler. Wenn ich ein Atelier besuche, komme ich als einer, der unentwegt auf der Suche nach Bildern ist, nach dem Bild hinter dem Bild. Und wenn ich solche Bilder finde, dann beginnt das gemeinsame Abenteuer. Wie in der Liebe.

Macht das für Sie einen guten Kunsthändler aus?

Aber ja, die Liebe steht über allem. Sachlich sind die Augen am wichtigsten, die Fähigkeit zu sehen. Die meisten Menschen haben das verlernt - kein Wunder angesichts der Flut von Bildern, die uns täglich überschwemmt. Aber man muss auch mit dem Herzen sehen können. Drittens: kaufmännischer Verstand. Und Beharrlichkeit, Geduld. Schließlich gilt es, sich zu engagieren, also zu kaufen. Ausstellungsarbeit ist die Kür, Kaufen und Handeln, in jedem Sinne des Wortes, ist Pflicht. Denn erst Erwerb bringt unmittelbare Einsicht.

Neben der Galerie ist die Messe der wichtigste Auftrittsort des Kunsthändlers. Warum konnten Sie sich mit dem Kunstmarkt Art Forum Berlin bisher nicht anfreunden?

Das Konzept, auch der Gegenwartskunst ein Messeforum zu schaffen, privaten Galeriebetrieb also öffentlich zu machen, Schwellenangst abzubauen, wurde Anfang der sechziger Jahre von Hein Stünke in Köln entwickelt. Daraus entstand der erste Kölner Kunstmarkt, die Mutter aller zeitgenössischen Kunstmessen. Grundsätzlich habe ich nichts gegen das Art Forum junger und jüngster Entwicklungen in der Kunst. Auch wenn ich meine, dass heute alles viel zu schnell geht und die jungen Künstler sich nicht mehr die Zeit nehmen, sich zu entwickeln. Kunst und Markt sind ohnehin schwer vereinbare Gegensätze. Das Angebot an Kunst, oder das, was sich dafür hält, ist seit Einführung der Messen auf beängstigende Weise gewachsen. Es gibt mehr davon, als private und öffentliche Sammlungen je aufnehmen können. Berlin hat eine große Vergangenheit als Stadt der Kunst und zudem heute eine besondere Aufgabe, muss mehr denn je vermitteln zwischen Ost und West, muss offen sein für alles Neue, muss dabei aber hohe Ansprüche stellen.

Haben andere Städte bessere Konzepte?

In München startet im nächsten Jahr eine „Biennale der Hundert". Mit bedeutenden Händlern der Weltkunst von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Ärgerlich daran ist, dass dieses Konzept eines vom qualifizierten Handel geschaffenen „Museums auf Zeit“ hier in Berlin durch Bernd Schultz zu Beginn der achtziger Jahre entwickelt und für einige Jahre erfolgreich als „Orangerie“ praktiziert wurde. Es gab zwei Schwachpunkte, die dann auch zum Scheitern führten: Die Händler waren zu wenig ins Messegeschehen eingebunden. Und die Kunst des 20. Jahrhunderts konnte angesichts der quantitativen Dominanz der Händler mit alter Kunst die ihr angemessene Rolle nie spielen. Eine in Organisation und Inhalt erneuerte „Orangerie des 20. Jahrhunderts“ wäre für das neue Berlin eine große Chance gewesen, doch die Mehrheit der Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher Galerien wollte den Schritt nach Berlin noch nicht wagen. Dann kamen die „European Galleries“ mit ihrem Art Forum, die ursprünglich gar nicht nach Berlin wollten, aber keine andere Bleibe fanden und hier mit offenen Subventionsarmen aufgenommen wurden.

Sie sind gegen Subventionen?

Subventionen schaden nicht nur dem Markt, sondern auch der Kunst, beschönigen die wahren Verhältnisse. Die einzig zulässige und sinnvolle Subvention von Kunst ist der Kauf. Das zahlt sich für alle Beteiligten aus. Was wir in Berlin brauchen, wäre eine hochqualifizierte Messe der Kunst des 20. Jahrhunderts. Eine Messe der Besten.

Gibt es nicht schon zu viele Kunstmessen?

In der Tat: Seit dem ersten Kölner Kunstmarkt im Jahr 1965 haben sich die Kunstmessen auf inflationäre Weise vermehrt. Die Galeriearbeit vor Ort leidet darunter. Doch die Sammler haben sich an die Messen gewöhnt. Und konzentrieren sich darauf. So werden viele Kollegen zur häufigen Messeteilnahme geradezu gezwungen, weil Besucher und Kunden den heimischen Galerien fernbleiben. Wir laufen Gefahr, zum Wanderzirkus zu werden.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung des internationalen Kunstmarktes?

Die Parameter des Marktes haben sich auf dramatische Weise verschoben. Es gibt immer mehr Galerien, immer mehr Messen. Und, am schlimmsten, immer mehr Auktionen. Von Kunstpflege, Kunsterziehung und Verantwortung für Kunst kann nur noch in Ausnahmen die Rede sein. Die internationalen Häuser sind ausschließlich profitorientiert. Viele Liebhaber und Kenner sind durch die Zuspitzung auf „blue chips“ überfordert oder abgestoßen und ziehen sich zurück. Die Schere zwischen Auktionsschein und Marktwirklichkeit klafft immer weiter auseinander. Zudem hat der Kunstfreund derzeit andere Sorgen. Die Besucherzahlen in den Galerien, selbst in so privilegierter Lage wie es die unsere ist, gehen zurück. Es fällt mir zwar schwer, aber wir werden künftig nur noch zwei große Ausstellungen im Jahr zeigen, können andererseits mit kleinen Veranstaltungen flexibler auf aktuelle Herausforderungen reagieren. Und mit meinen 67 Jahren muss ich mich langsam auf die Suche nach einem Nachfolger machen.

Sie waren immer ein Anwalt der Kunst aus dem Osten. Trotzdem ist das Verhältnis zu fast allen Ihren Künstlern nach der Wende zerbrochen. Was führte zu den Trennungen?

In fast allen Fällen hat die Verschiebung der bis dahin klar geregelten Kompetenzen zu den Zerwürfnissen geführt. Früher war ich Repräsentant im „Ausland". Die Autonomie im jeweils eigenen Verantwortungsbereich wurde nicht angetastet. Heisig und Tübke beispielsweise, zwei der mir besonders wichtigen Künstler, hatten sich in der DDR nach lange währenden Schwierigkeiten schließlich souveräne Positionen erarbeitet, konnten also selbst entscheiden, wann und wo sie in den Ländern des Ostblocks ausstellten, welche Bilder sie dafür freigaben. Nun sollten all diese ihnen zur Selbstverständlichkeit gewordenen Gepflogenheiten vom Händler beeinflusst oder gar entschieden werden. Dabei war diesen Malern ihre Kunst das einzige, was ihnen verblieb, das einzige jedenfalls, was sie, buchstäblich, in der Hand behielten. Wir im Westen verkennen immer noch, welch schmerzhafte Entwurzelung dem Gewinn der Freiheit gegenüberstand. Das ist mir heute nachvollziehbar, doch war und bin ich nicht bereit, mir in meine Arbeit hineinreden zu lassen, in Dinge also, von denen ich weiß, dass ich sie besser kann. In allen Gesprächen zwischen Künstler und Händler muss der Händler zurückstecken, wenn es um die Kunst geht. Und der Künstler, wenn es um die Vertretung seiner Kunst auf dem Markt geht. Da gehört dem Händler das letzte Wort. Mit Heisig konnte ich mich wieder einigen. Mit Tübke nicht. Das tut immer noch weh. Aber es gab auch positive Entwicklungen: Die Beziehung zu Harald Metzges, die immer gut war, hat sich auf wundersame Weise verdichtet.

Manch einer wirft Ihnen heute noch vor, aus der DDR-Kunst Profit geschlagen zu haben. Treffen Sie diese Vorwürfe?

Mich ärgert es, weil es das Klima vergiftet. Aber es trifft mich nicht, weil es nicht stimmt. Geschäftlich hat mir meine intensive Auseinandersetzung mit Kunst aus der DDR nur wenig gebracht. Aber viel an Einsichten. Bis zur Wende war der Umsatz kaum nennenswert, schon durch die niedrigen Preise. Aber auch nach der Vereinigung und angesichts deutlich gewachsener Nachfrage und höherer Preise, die sich allerdings immer noch bescheiden ausnehmen, machen diese Verkäufe bestenfalls etwa zehn Prozent meines Umsatzes aus. Da kann von Profitstreben keine Rede sein.

Haben Sie manche Ihrer Einschätzungen nach der Wiedervereinigung revidiert?

In der prinzipiellen Beurteilung der Szene fühle ich mich durch die Entwicklung bestätigt. Es war richtig, dass ich mich nur für einen kleinen Teil der Gesamtszene engagiert, damit aber Aufmerksamkeit für das Ganze erweckt habe. Kunst aus der DDR wurde lange Zeit allein durch die SED und die westdeutsche Bruderpartei KPD exportiert. Als ich 1982 mit meinen Partnern die erste „Zeitvergleich“-Ausstellung mit Kunst aus der DDR in sieben Museen und Kunstvereinen der Bundesrepublik zeigte, war dies das erste unabhängige Unternehmen, der erste Versuch, einen kritischen Blick auf die ostdeutsche Kunst zu werfen. Es war mühsam, das den östlichen Partnern verständlich zu machen. Aber schließlich wurde uns die Freiheit der uneingeschränkten Auswahl gewährt, die für uns unabdingbar war. Die Zusammenarbeit mit dem damals erst geschaffenen „Staatlichen Kunsthandel der DDR“ war dann innerhalb dieses komplizierten Systems von gegenseitigem Vertrauen getragen: klare Positionen und Respekt.

Wie sehen Sie die Rolle der Künstler aus dem Osten heute?

Die Künstler der DDR haben viel für die Freiheit des Denkens geleistet. Doch die Vereinigung ist noch längst nicht vollendet. Unsere westliche Vorstellung der für das Schaffen von Kunst gebotenen „Freiheit“ wurde zur Chimäre. Kunst, das hat uns das vergangene Jahrhundert gelehrt, kann nichts weniger vertragen, als grenzenlose Freiheit, als diese immer mehr um sich greifende Attitüde des bedingungslosen Gewährenlassens, dieses grässlichen „anything goes".

Warum stehen Sie der zeitgenössischen Kunst so kritisch gegenüber?

Wie kam es denn vor mehr als hundert Jahren zum Aufbruch in die Moderne? Es galt, einem um sich greifenden Akademismus, einer sich in schönen, aber sinnentleerten Bildern erstarrten Tradition zu entledigen, sie mit neuen Inhalten zu füllen und in neue Formen zu bringen. Es war ein wunderbarer, kraftvoller und mitreißender Anfang, ein schöpferischer Prozess, der etwa 30 oder 40 Jahre anhielt oder sich zu erneuern in der Lage war, der unterbrochen war, gestört und wiederbelebt wurde durch zwei Kriege. Kunst war wieder wichtig für die Menschen, forderte sie heraus, rüttelte sie wach. Und bescherte uns Meisterwerke. Aber heute? Kein Tabu blieb in der Vergangenheit ungebrochen. Doch die einmal kühne Destruktion wurde längst zum akademischen Prinzip, zur wohlfeilen Methode. Die Avantgarde hat ihre Kinder gefressen. Zum Glück gibt es unter denen, die Kunst machen und die Kunst kaufen, noch ein paar, die gegen den Strom schwimmen. Nicht viele. Aber das war nie anders. Wir sollten uns fragen, warum Kunst überhaupt entstanden ist.

Was heißt das konkret?

Kunst hat etwas mit Glauben zu tun, mit unserer Vorstellung auch von Gott, von einer geistigen Welt. Und der Angst vor dem Sündenfall und dem Tod. Vor dem Wort, so meine Überzeugung, war das Bild. Das in Sand gezeichnete, auf Felsen gemalte, aus Steinen und Erde geformte Bild. Kunst muss dem Zeitgeist abgetrotzt werden: Durch Beharren auf den Glanz der Form, auf eine Schönheit, die von innen leuchtet.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Katrin Wittneven.

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