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Kultur: Die Beethoven-Revolution

Klassik war im Iran verboten, weil sie als zu erregend galt. Jetzt gastiert das Tehran Symphony Orchestra in Deutschland

Die anderen waren bei H&M und bei Zara, aber die Bratschistin Laya Etemadi hat den ganzen Vormittag in ihrem Hotelzimmer verbracht. Sie war dort allein mit Mozart, ohne Kopftuch, und niemand schritt ein. Am Abend tritt die Solistin des Tehran Symphony Orchestra in einer westfälischen Kirche auf. Ganz gleich, wie sie spielen werden, dass sie überhaupt da sind, ist die größte Leistung.

„Wer Musik hört, dem wird in der Hölle heißes Blei in die Ohren gegossen“, hatte Ayatollah Chomeini einst skandiert. Und der letzte Dirigent der Teheraner Symphoniker war abgetreten, weil er es gewagt hatte, nach seiner Rückkehr aus dem Exil 2005 erstmals nach der Revolution Beethovens Neunte aufzuführen. Die staatliche Presse verurteilte ihn. Doch nun befindet sich das Tehran Symphony Orchestra der Islamischen Republik Iran mit seinem neuen Dirigenten auf der ersten Auslandsreise. Das Geld kommt vom Staat.

Vielleicht, weil man nicht immer nur fruchtlose Briefe schreiben kann, um das Image Irans zu verbessern. Man muss auch einmal andere Signale senden.

Und so hat in Osnabrück, wo trotz der westfälischen Sturheit 1648 jener Friede zustande kam, mit dem der Dreißigjährige Krieg beendet und die Religion der Katholiken und Protestanten gleichgestellt wurde, das Orchester am Sonntag das zweite Morgenland-Festival eröffnet. Die „kulturpolitische Sensation“ besteht aus einer Komposition des Dirigenten Nader Mashayekhi, der symphonische Klänge mit persischem Gesang überlagert. Außerdem spielen sie Beethoven und Frank Zappa. Die grauen Korkenzieherlocken Mashayekhis fliegen, 2000 Osnabrücker erheben sich von ihren Stühlen. Es spielt keine Rolle, dass manche im Publikum ihren Beethoven schon raffinierter gehört haben.

Erst jetzt, in diesem Moment und vor Zeugen, habe das Orchester zum ersten Mal seine Rolle gefunden, sagt Mashayekhi später. Wo doch vorher keiner so recht gewusst habe, was ein Symphonie- Orchester in Teheran eigentlich soll. Mashayekhi glüht. Erst mit einem Profil gibt es nämlich Geld von der öffentlichen Hand, auch Mashayekhi hat Klarheit gewonnen. Nach dem Konzert essen die erschöpften Musiker im Niedersachsen-Saal der Osnabrücker Stadthalle Salat und Reis, checken ihre SMS, gehen zurück auf ihre Zimmer im „Kulmbacher Hof“, wählen 0098 -21 Teheran und melden Erfolg.

Mashayekhi konnte es bis zuletzt kaum glauben: 90 Visa für Deutschland! Und Beethoven im Programm. Ist das die Konterrevolution?

Der Dirigent ist ein in sich ruhender Mensch mit weichem Gesicht. Von seinen 48 Lebensjahren hat er 28 in Wien gelebt, erst im März hat er das Orchester übernommen. Er hütet sich vor politischen Aussagen, denn er weiß, in genau diesem Abstand zur Politik liegt seine künstlerische Freiheit. Er lehnt sich also nicht aus dem Fenster, sondern spielt mit der Persischen Suite ein Stück von Hassan Riahi, der die iranische Nationalhymne komponiert hat. Seine Geldgeber gelten derzeit als die Bösewichte der Welt. Doch die Musiker haben eine friedliche Mission, sie reisen unter Mozarts Flagge. Irans Präsident Ahmadinedschad hat eine Nuklearsinfonie in Auftrag gegeben, die Partitur soll schon vollendet sein. Aber einer wie Mashayekhi würde sie nie aufführen. Politik? „Wir können nichts tun“, hatte auch Laya Etemadi gesagt. – Außer Bratsche spielen.

Das Orchester besteigt den Bus. Erst die Probe, dann das Konzert. Laya sitzt ganz vorn. Vor ihr baumelt der eigens für die Reise genähte Umhang, schwarz, schüchtern mit Blumen und Pailletten bestickt. Draußen fliegen Eigenheime vorbei, Äcker und ein Kreisverkehr. „Angenehme Luft“, sagt Laya, 27, und guckt raus ins Grau mit Fichten, die sei unvergleichlich besser als in Teheran, wo man kaum atmen könne. Dort gebe es seit einigen Jahren diese Mode, seine Kinder ein Instrument lernen zu lassen, wovon auch sie profitiert, weil sie am Konservatorium unterrichtet. Es ist eine Mode ohne Tradition, weshalb Cage und Beethoven sich gut nebeneinander vertragen. Sind ja beide gleich neu, gleich aufregend.

Als sie sieben Jahre alt war, hat ihr Vater, der selbst Târ, die persische Laute spielt, die Tochter zum Geigenunterricht angemeldet. Mit 16 war sie im Orchester, als sie 20 war, ist sie mit der persischen Fußgeige und einer kleinen Truppe durch Amerika, Kanada und Europa getourt, jetzt, mit 27, ist sie die Bratschen-Solistin.

Und das Symphonie-Orchester, das in den Vierzigerjahren gegründet wurde, unter dem Schah eine glanzvolle Zeit hatte, nach der Revolution von nur zehn Hymnen spielenden Männern am Leben gehalten wurde und in den letzten Jahren mit wechselnden Gastdirigenten vor sich hin dümpelte, ist nun bereit, alles zu spielen. Das elektrisiert Mashayekhi. Die Noten für das Stück von Frank Zappa zum Eröffnungskonzert haben sie erst acht Tage vor der Abreise erhalten. „Nie im Leben“, sagten die alten Musiker. „Klar, machen wir“, sagten die jungen. Mashayekhi rechnete. Das Stück hat 60 Takte und dauert zweieinhalb Minuten, acht Takte am Tag müssten zu schaffen sein.

Um mit der Musik ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sagt Mashayekhi, müssen die Musiker nebenher viel unterrichten. Doch man habe ihm zugesagt, den Musikern ab 2007 zum Teil acht Mal so viel zu zahlen wie früher. Das Tehran Symphony Orchestra bespielt eine Halle in Teheran, in die 700 Leute passen. Für die 7-Millionen-Stadt reicht ein Konzert im Monat. Wer hört dort eigentlich klassische Musik? Der Dirigent versinkt in seinem Sessel. In Teheran kennen alle seinen Vater Jamshid Mashayekhi, der ein bekannter Schauspieler ist, aber das Tehran Symphony Orchestra kennt niemand. Der Sohn, der nach der Rückkehr aus Wien wieder bei seinen Eltern eingezogen ist, war vielleicht zu lange weg, um sein Publikum zu kennen. „Da müsste man erst mal eine Studie machen,“ sagt er. Geigen- oder Oboen-Unterricht gab es jedoch auch im Iran der Ayatollahs, trotz allem. Ein Konservatorium für Männer, eines für Frauen. – Ein Rätsel, denn Konzerte waren ja verboten.

Ein Orchester für die islamische Republik, für den Iran, für Persien, muss eine ganz eigene Bestimmung haben, schwebt Mashayekhi vor. Schließlich hat es auch besondere Probleme: Die Musikerinnen müssen Kopftücher tragen, unter denen sie nur eingeschränkt hören. Alle Musiker kommen zu den Proben ständig zu spät. Kultur wird noch lieber verboten als gefördert, und die Konservativen sind nicht etwa Abonnenten, sondern verteufeln westliche Musik. Am Ende muss es jemanden geben, der weiß, an welcher Stelle die Verbote durchlässig sind.

Mashayekhi will persische Aspekte im Programm, er will Kunstformen mischen, mit Bildhauern und Schriftstellern arbeiten, er will, dass sich die Leute im Iran für Beethoven öffnen und die Menschen im Ausland für persische Musik. Diese Kombinationen seien fruchtbar wegen der Gegensätze im Land. Im Iran boomen Schönheitsoperationen, aber die Schönheit verschwindet unter viel Stoff. Es herrschen die Ideen von alten Männern, obwohl 55 Prozent der Bevölkerung unter 30 sind. Trotz des Orchesterverbots finden sich heute gute Musiker. „Das Leben“, sagt Mashayekhi, „ist reicher als die Fantasie.“

Doch es ist, sagt die Hotelchefin in Osnabrück, schon seltsam, wie orientierungslos ihre Gäste aus dem Morgenland in der Lobby stehen, wie wenig sie wissen über den Ablauf des Programms, und es scheine ihr, als sei diese Knappheit an Information nicht ohne Absicht. Vor allem die Frauen verliert keiner aus dem Blick. Sie kichern, wenn man sie anspricht, und die Männer rufen sie zur Ordnung, wenn sie zu lässig fotografiert werden.

Für viele Musiker, sagt Laya, sei dies die erste Auslandsreise. Sie selbst war schon in Deutschland, vier Monate hat sie an der Musikhochschule in Köln Musik und in der Volkshochschule Deutsch gelernt, eigentlich wollte sie hier studieren, aber dann – „ich bin Einzelkind“ – wollten die Eltern sie und sie ihre Eltern wiederhaben. Sie ist froh über den neuen Dirigenten Mashayekhi. „Er ist ein guter Mensch, ehrlich wie ein Deutscher.“

In Hagen am Teutoburger Wald sehen die Musiker, die aus dem Bus quellen, nicht die Nibelungen-Apotheke und auch nicht die Ankündigung für die Tupper- Party. Sie haben keinen Blick für die schwer vermittelbaren Rituale des Westens. „Sch-sch-sch“, dämpft Mashayekhi sein Orchester in der Kirche, während draußen ein westfälischer Schauer in die Bäume rauscht. In der ehemaligen Sakristei liegt ein aufgeklappter Instrumentenkoffer. Daraus schauen auf Fotos die Eltern, Geschwister und Lehrer aus dem Iran. Heimat im Geigenkasten. Die Musiker der islamischen Republik Iran spielen nun vor dem christlichen Ornat der westfälischen Provinz. Sie stimmen ihre Instrumente neben der Orgel, sie spielen sich warm vor den Beichtstühlen, und die Frauen sehen mit ihren Kopftüchern wie Madonnen aus.

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