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Kultur: „Die Bibel ist antisemitisch“

Daniel Goldhagen über die Rolle der Katholischen Kirche in der NS-Zeit

Herr Goldhagen, sind Sie ein moralischer Mensch?

Gemessen daran, wie viele andere Menschen ich nach dem Guten und dem Bösen frage, nach Schuld und Unschuld: ja.

Haben Sie deshalb eine „moralische“ Untersuchung über die katholische Kirche und den Holocaust geschrieben?

Natürlich interessierte es mich, wie sich gerade die katholische Kirche – nach eigenem Bekunden eine der höchsten moralischen Institutionen – während des Dritten Reiches verhalten hat. Mir geht es aber auch generell um eine seriösere Diskussion. Es reicht nicht aus zu sagen: Ja, das war schrecklich, und dann geht man wieder zur Tagesordnung über. Wir müssen auch über die Verpflichtung zur Wiedergutmachung reden. Das gilt nicht nur für die Opfer des Holocaust, sondern auch für andere Opfergruppen wie die Schwarzen in Amerika.

Hat die katholische Kirche zwischen 1933 und 1945 gesündigt?

Sie hat nicht nur nach ihren eigenen moralischen Maßstäben schwer gesündigt, sondern auch nach weltlichen Kriterien als Komplizin der Nazis schlimme Verbrechen begangen.

Was hätte die katholische Kirche tun können und tun müssen?

Einige kirchliche Würdenträger wie Bischof Galen haben öffentlich gegen die Euthanasie protestiert. Auch mit Erfolg. Warum haben sie Ähnliches nicht für die Juden getan? In Dänemark hat die lutherische Kirche schon sehr früh die Verfolgung der Juden als Verbrechen angeprangert. So etwas hätte die ungleich mächtigere und einflussreichere katholische Kirche auch machen können.

Aber es gab in Deutschland Priester und Bischöfe, die Juden geholfen haben.

Das stimmt. Aber gerade das zeigt doch, was möglich gewesen wäre.

Stellen Sie sich vor, Papst Pius XII. hätte verkündet, dass die Judenverfolgung in Europa ein Verbrechen sei und dass sich daran kein gläubiger Katholik beteiligen dürfe. Hätte die Kirche den Holocaust verhindern können?

Das glaube ich nicht. Aber viele Juden wären wohl gerettet worden. Andererseits war die Kirche auch mit vielem, was die Nazis dachten und taten, nicht einverstanden, zum Beispiel stieß sie deren antireligiöse Haltung ab. Dennoch gab es auch Verbindendes. Kirche wie Machthaber waren antidemokratisch eingestellt. Der Antikommunismus, der Antibolschewismus war eine andere Gemeinsamkeit. Hinzu kam der Antisemitismus. Kreuz und Hakenkreuz waren sich einig, dass der „Einfluss“ der Juden zurückgedrängt werden müsse. Daran hat sich die Kirche aktiv beteiligt.

Warum gab es so wenig Widerstand?

Stellen Sie sich mal Deutschland vor siebzig Jahren vor. Das war eine völlig andere Welt. Hitler predigte Antisemitismus, Militarismus und Imperialismus. Und dieser Mann wurde von Millionen Deutschen gefeiert und gewählt. Heute wäre so etwas undenkbar. Aber damals glaubten sehr viele, Juden seien mächtig und gefährlich. Das haben sie ja auch immer wieder bei den Predigten in der Kirche gehört.

Die Deutschen waren damals ein Volk von Judenhassern?

Es gab Ausnahmen, aber die meisten Deutschen sahen in den Juden eine Gefahr für die Gesellschaft. Viele glaubten ernsthaft, dass es eine ungelöste „Judenfrage“ gäbe.

Sie fordern von der katholischen Kirche Wiedergutmachung für ihre Komplizenschaft mit den Nazis. Wie kann so etwas aussehen?

Zunächst muss die Kirche ohne Wenn und Aber anerkennen, dass sie sich schuldig gemacht hat. Dazu gehört, dass sie unabhängigen Forschern uneingeschränkten Zugang zu ihren Archiven gewährt. Zudem muss sich die katholische Kirche bewusst werden, dass sie weiterhin nicht zuletzt über die Bibel antisemitisches Gedankengut verbreitet. Dagegen muss sie dringend etwas tun.

Soll sie die Bibel einstampfen lassen oder umschreiben?

Nein. Die Kirche muss aber erkennen, dass einige Passagen im Buch der Bücher äußerst problematisch sind. Es würde vielleicht schon reichen, diese Stellen mit Kommentaren zu versehen, die deutlich darauf hinweisen: Was hier über Juden verbreitet wird, entspricht nicht den historischen Tatsachen.

Morgen tritt Daniel Goldhagen bei den „Berliner Lektionen“ im Renaissance -Theater auf.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

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