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Büchermacherin. Roswitha Quadflieg – hier im Literaturhaus in Charlottenburg – hat lange in Hamburg Texte illustriert und gedruckt. Heute schreibt sie welche in Berlin.

© Alice Epp

Die Büchermacherin Roswitha Quadflieg: Letterleuchten

Lesen ist Anschauen: Roswitha Quadflieg ist Buchgestalterin und Autorin. Jetzt widmet ihr das Literaturhaus eine Ausstellung.

Schwarz ist das Leder, matt glänzend, warm anzufassen, kühl anzusehen. Das steile Hochformat liegt elegant und sperrig in der Hand. Auf dem Einband prangt in Versalien nur ein Wort – Kafka. Ein Name, ein Programm. Innen dann chinesische Seide, schwarzweiß gesprenkelt und schweres Bütten. Darauf der Text in der Schrift Nicolas Cochin, bis auf die Satzanfänge ist alles klein geschrieben. Das war nicht Franz Kafkas, sondern Roswitha Quadfliegs Idee, die so aus der Prosasammlung „Betrachtung“ eine abstrakte Buchstabenarmee macht. Ein „Gitterraster“, wie sie sagt: „Ich habe Kafka erst begriffen, als ich ihn selbst gesetzt habe.“

Das Ergebnis ist nicht unbedingt lesefreundlich, aber typografisch eindrucksvoll. „Es sieht wie ein Buch aus“, sagt Roswitha Quadflieg, die nach Jahrzehnten in Hamburg nun seit zwei Jahren in Berlin-Mitte lebt, „du kannst darin blättern, aber es ist ein Kunstwerk.“ Ein haptisches, optisches Erlebnis, das nicht nur Bibliophile anzieht. Zuletzt hatte die Büchergestalterin 1500 Menschen überall auf der Welt in der Kundendatei ihres Kunstbuch-Verlags Raamin-Presse. „Heutzutage machen die Leute den Fehler, Bücher zu lesen statt sie anzuschauen“, zitiert Quadflieg William Morris und lacht.

Die Gefahr bestand weder früher bei ihren Käufern noch jetzt in der Ausstellung, die das Literaturhaus ihr widmet. „Roswitha Quadflieg. Sie sind hereingekommen bei Tag und Nacht“ zeigt eine Auswahl der 28 Drucke, die sie von 1973 bis 2003 in ihrer Hamburger Druckwerkstatt in Bleisatz angefertigte, versehen mit Originalgrafiken, also Holzschnitten, Radierungen, Holzstichen.

Illustration für Samuel Beckett "Alles kommt auf so viel an".
Illustration für Samuel Beckett "Alles kommt auf so viel an".

© Roswitha Quadflieg

Zu sehen sind Werkstattfotos, fertige Bücher, Zustandsdrucke, Entwurfszeichnungen, Druck- und Prägeplatten. Darunter Drucke „ihrer Heiligen“, wie die Grafikerin Kafka, Strindberg, Trakl, Novalis oder Goethe nennt. Und auch Erstausgaben zeitgenössischer Schriftsteller wie Hans Magnus Enzensberger oder Tankred Dorst. Dessen im Jahr 2000 von ihr veröffentlichte Erzählung „Ich will versuchen, Kupsch zu beschreiben“ ist ein ganz und gar wundersames Buch. In den Innenseiten des Einbands mit ausklappbaren, expressiven Drucken versehen. Ohne Rücksicht auf die Worttrennung gesetzt, so dass manchmal am Ende einer Zeile ein einsamer Buchstabe steht. Wie der Lesetest beim Augenarzt in von Zeile zu Zeile schrumpfenden oder wachsenden Lettern gedruckt. Und zwar auf einem blauen Papier. „Handgeschöpft in einer südfranzösischen Papiermühle“, sagt Roswitha Quadflieg und schüttelt noch im Nachhinein den Kopf, wenn sie an die von Pleiten, Pech und Pannen gezeichnete Entstehungsgeschichte dieses Buches denkt. Am Ende sei dann auch noch die Papiermühle abgebrannt, erzählt sie, „aber wenigstens das Buch ist schön geworden“.

Sie hat Michael Endes "Unendliche Geschichte" illustriert

So wie ihr Meisterwerk, dem im Literaturhaus gleich ein ganzer Raum gewidmet ist: Samuel Becketts Hamburg-Kapitel aus seinen „German Diaries“ von 1936/37. Die erste und bis heute einzige Veröffentlichung dieses Parts aus dem lange sagenumwobenen Dokument. Um die Abdruckerlaubnis zu erhalten, ist sie extra nach Paris zu Becketts Neffen gereist. Hinterher hat sie dann ein eigenes Buch mit dem Titel „Beckett was here“ über dessen Zeit in Hamburg geschrieben. 50 000 Druckvorgänge waren nötig, um das in ihrer Maximalauflage von 150 Exemplaren erschienene, von auffaltbaren Leporellos durchzogene Beckett-Tagebuch herzustellen. Der Verkaufspreis? „1500 Euro.“

Illustration für Novalis "Fabeln".
Illustration für Novalis "Fabeln".

© Roswitha Quadflieg

Klingt nicht unbedingt wie ein angemessenes Äquivalent für das Herzblut, den Ideenreichtum und die Handwerkskunst, die in den Höhe- und Endpunkt der Raamin-Presse geflossen sind. Die drahtige, 64 Jahre alte Frau mit der dunklen Stimme und dem hanseatischen Humor lächelt mild. Die Buchkunst sei nun mal das Stiefkind der Bildenden Kunst. Selbst wenn die in zahlreichen Museen vertretene Raamin-Presse zu den maßgeblichen Verlagen der deutschen Nachkriegsbuchkunst gehört und Quadfliegs Originalwerkstatt inzwischen dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gehört. Und was ist schon Geld, wenn man sich in 30 Jahren 28 Mal neu erfinden kann? Ein jedes Mal aufs Neue wieder aufregendes künstlerisches Experiment ist jedes der Bücher für sie gewesen. Die Kombination der Materialien und vor allem die von Schrift und Bild habe sie gereizt, wobei keins dem anderen diene. Es sei eine eigene Art von literarischer Auseinandersetzung, ein „in den Text gehen“ mit Bildern, keinesfalls die Bebilderung von Literatur. Quadflieg schüttelt sich. Das Wort ist für ihre Kunstbücher genauso wenig eine Kategorie wie das Wort Lesefreundlichkeit. „Das wäre ja schrecklich, wenn Literatur so schlecht ist, dass sie Abbildungen braucht.“ Nein, sie ist keine Bilderdienstleisterin, auch eine von Verlagen beauftragte Bilderlieferantin wollte die studierte Malerin, Grafikerin und Typografin nie sein. Von ein paar Ausnahmen, also Buchillustrationen für befreundete Schriftsteller, abgesehen. Die bekannteste ist die Gestaltung der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende. 1979 erschienen. Eine Volksausgabe mit Millionenauflage. Quadfliegs Honorar betrug zwei Prozent. „Soviel habe ich nie wieder verdient“, sagt sie, „von den 26 Buchstaben habe ich mir einen neuen Trakt an meine Druckwerkstatt gebaut.“ Den 26 Buchstaben? Sie nickt. Ihr von den Farben Rot und Grün dominiertes und damals, lange vor der Fantasy-Welle, beim Thienemann-Verlag schwer bestauntes Konzept besteht aus ornamental gestalteten Initialen am Kapitelanfang. Für jeden Buchstaben des Alphabets einen. Die Initiale ähneln denen mittelalterlicher Bibeln. „Und das ist das Buch dann ja auch geworden, eine Hippie-Bibel.“

Illustration für Georg Trakls "Gesang des Abgeschiedenen".
Illustration für Georg Trakls "Gesang des Abgeschiedenen".

© Roswitha Quadflieg

Dicke Schmöker wie diese sind sonst gar nicht Quadfliegs Art. Als Buchgestalterin neigte sie der Machbarkeit wegen zu kürzeren Schriften. Als Schriftstellerin, die sie seit 1985 auch und inzwischen nur noch ist, behält sie das bei. „Mich interessiert die Verknappung. Der eine Satz in hundert Sätzen.“ Das hat sie gleich bei ihrem Debüt „Der Tod meines Bruders“ beherzigt, einem gut hundertseitigen Buch, das eigentlich nur Fragen stellt und gerade in den Auslassungen präzise über die Unsagbarkeit letzter Dinge spricht, und seither in zwölf weiteren Erzählungen. Zuletzt 2012 in der Künstlerfamiliengeschichte „Königssohn“, die auch ein bisschen was mit ihrer eigenen zu tun hat. Roswitha Quadflieg ist die Tochter des Schauspielers Will Quadflieg . Ihr Bruder Christian ist ebenfalls Schauspieler. Darauf angesprochen winkt sie ab. „Irgendwo kommt man halt auf die Welt.“ Ihre Eltern hätten sich schon getrennt, als sie 13 war. Die schriftstellerische Auseinandersetzung mit Familie sei einfach immer spannend. „Ganz egal, was es für eine ist.“

Literaturhaus Berlin, bis 30.4., Mo-Fr 10-17 Uhr, Führung mit Roswitha Quadflieg: 27.4., 11.30 Uhr

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