zum Hauptinhalt

Kultur: Die endlose Nacht

Von Verbotsfilmen geht ein ganz besonderer Reiz aus.Man sieht einem Regisseur dabei zu, wie er bis an die Grenzen des Erlaubten geht, und wenn er ein ernsthafter Provokateur ist, dann faszinieren seine Filme auch noch 20 Jahre nach ihrem Entstehen, so wie Nagisa Oshimas "Im Reich der Sinne" oder Pier Paolo Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom".

Von Verbotsfilmen geht ein ganz besonderer Reiz aus.Man sieht einem Regisseur dabei zu, wie er bis an die Grenzen des Erlaubten geht, und wenn er ein ernsthafter Provokateur ist, dann faszinieren seine Filme auch noch 20 Jahre nach ihrem Entstehen, so wie Nagisa Oshimas "Im Reich der Sinne" oder Pier Paolo Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom".

Das Tragische am Fall des Chinesen Zhang Yuan ist, daß er gar nicht provozieren möchte und trotzdem in seinem Heimatland unterdrückt wird."Ich liebe mein Land, und ich liebe die Partei", sagt der Regisseur, der lediglich versucht, etwas von der sozialen Realität Chinas einzufangen.Sein erster Film "Mama" (1990) handelte von einer ledigen Mutter und ihrem behinderten Kind, während sein neuester, "East Palace, West Palace", die Unterdrückung von Homosexuellen durch die chinesische Polizei schildert.Dabei interessiert ihn der sexuelle Aspekt am allerwenigsten.Die Schwulen, die sich zu Beginn des Films in einer Pekinger Grünanlage treffen, benehmen sich wie Nonnen, die heimlich Bonbons essen.

An seiner schwulen Hauptfigur A-Lan (Si Han) interessiert den heterosexuellen Regisseur ein Gefühl, das er selbst nachempfinden kann: unerwiderte Zuneigung.A-Lan begehrt den Polizisten Shi (Hu Jun), der ihn verachtet, so wie die chinesischen Behörden Zhang Yuan verachten."East Palace, West Palace" schildert mit fragwürdigem Optimismus, wie es zwischen den ungleichen Parteien zu einer Annäherung kommt.Den Hauptteil der Handlung bestreitet ein nächtliches Verhör, das der Polizist mit A-Lan durchführt.Eigentlich wollte er den jungen Mann, den er bei einer Razzia festgenommen hat, wieder laufenlassen.Doch dann hat A-Lan ihn geküßt und neugierig gemacht.Während des stundenlangen Verhörs vergißt der Polizist seine eigentliche Aufgabe; stattdessen übernimmt er die Rolle des Psychiaters, der seinen Patienten heilen will, und später sogar die Rolle des Freundes.

Gleich zwei Vorurteile, ein heterosexuelles und ein schwules, werden bedient.A-Lan genießt es, von dem Polizisten geschlagen und gedemütigt zu werden.Andererseits scheint auch der Polizist schwach zu werden und sich emotional auf A-Lan einzulassen.Psychologisch stimmig ist das merkwürdige Verhältnis zwischen den beiden Männern nicht, da der Regisseur ängstlich jede Provokation vermeidet.Da er ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit halten will, befreit er seine Figuren von allem, was nach niederen Instinkten aussieht.Nur der A-Lan-Darsteller Si Han, der auf irritierende Weise Michael Jackson ähnelt, strahlt lustvollen Masochismus aus und nennt auf die Frage, was er so tue, nicht seinen Beruf als Schriftsteller, sondern seine passive Rolle beim Sex.Doch zu einem SM-Spiel gehört auch ein Sadist, und der Polizisten-Darsteller bleibt reserviert, seine Brutalität wirkt niemals bedrohlich.Zhang Yuan fürchtet den Exzeß so sehr, daß er ihn selbst da meidet, wo er erforderlich wäre.

Dafür gelingt es ihm hervorragend, ein Gefühl des Beobachtetwerdens zu schaffen.Ein durchgehendes visuelles Motiv ist der Blick durch Bäume, Sträucher, Fenster.Nie sind die Menschen allein, suggeriert die Vogelperspektive, aus der Zhang Yuan das Geschehen wiederholt aufnimmt.Der Stadtpark, in dem sich die Schwulen treffen, erscheint wie ein Gefängnishof, vom Wachturm aus betrachtet.Und die Ausführlichkeit, mit der das Verhör geführt wird, das Interesse des Polizisten an A-Lans Werdegang, seinen Erlebnissen, den medizinischen Experimenten, die er durchgemacht hat - all das kann als Aufforderung an die Regierung Chinas verstanden werden, genauer hinzuhören, mutmaßliche Regimegegner zu Wort kommen zu lassen.

Von einer Lust an der Provokation ist da keine Spur, und doch mußte der von französischen und holländischen Geldgebern mitfinanzierte Film aus China herausgeschmuggelt werden.Zhang Yuan selbst wurde daran gehindert, "East Palace, West Palace" in Cannes zu präsentieren, und seit dem 1.Juli 1996 ist nicht mehr nur die Vorführung, sondern auch die Herstellung unabhängiger Filme in China untersagt.Als jemand, der sich nicht für Musikvideos zu schade ist und dafür einen MTV Award bekommen hat, dürfte Zhang Yuan kaum Probleme haben, in Europa oder den USA zu arbeiten.Aber so leicht wird China seinen sanften Provokateur nicht los.Schließlich liebt er sein Land und seine Partei.Und wer weiß, vielleicht wird die Partei doch noch schwach.

Filmkunst 66 (OmU)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false