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Kultur: Die Engel der Hölle

Es soll ja Liebe geben, die stärker ist als der Tod.So erzählen die Märchen und Sagen.

Es soll ja Liebe geben, die stärker ist als der Tod.So erzählen die Märchen und Sagen.Orpheus zum Beispiel war so untröstlich über den Tod seiner Frau Eurydike, daß er ihr bis ins finstere Reich der Unterwelt folgte.Und die Tote mittels seines süßen Gesangs zurücklockte ins Leben.Wenn, ja wenn er aus lauter Liebe nicht zu früh sich umgedreht hätte, und damit den Pakt mit Hades gebrochen.Liebe, die ist manchmal so stark, daß sie tötet, zum zweiten Mal.

So ähnlich, und doch anders, auch in der Gegenwart: Der Arzt Chris Nielsen (Robin Williams) verunglückt bei dem Versuch einer Erste-Hilfeleistung und ist aus Sehnsucht nach seiner Frau im paradiesischen Jenseits so unglücklich, daß er sich in der Hölle wähnt.Seine Frau Annie, depressive Malerin, vermißt ihren verstorbenen Gatten ebenfalls so sehr, daß sie es im Diesseits nicht aushält und Selbstmord begeht.Und in die Hölle kommt.Die beiden Toten finden auch im Jenseits nicht zusammen.Die Wasser, die den Himmel von der Hölle trennen, sind ozeantief.

Bis in den untersten Kreis der Danteschen Greuel muß Chris sich vorkämpfen, um dort sein Paradies zu finden.Nicht Feuer, nicht Wasser - und schon gar nicht der wohlmeinende Rat von Max von Sydow - können ihn zurückhalten.Und Rettung bedeutet nicht die Rückkehr in die Oberwelt, sondern gerade der Entschluß, an Annies Seite in der Hölle zu verbleiben.Was natürlich - mehr sei nicht verraten - am Ende doch noch zum guten Ende, also ins Paradies führt.

Vincent Wards Fantasy-Liebesfilm "Hinter dem Horizont" ist Mythen-Travestie pur.Damit noch nicht genug, wird auch kräftig in die Schatzkiste der überlieferten Literatur- und Kunstschätze hineingelangt.Neben Orpheus muß - bei Höllenfahrten sozusagen vorprogrammiert - Dante herhalten, dessen Inferno mit einem Feld voll eingegrabener Köpfe zitiert wird.Aus dem Bereich der Kunst läßt eine sturmgepeitsche Überfahrt an Géricaults "Floß der Medusa" denken, während in den golden getönten Szenen im Paradiesgärtlein Emil Nolde, Caspar David Friedrich und Arnold Böcklin grüßen lassen.

Ungewöhnlich gewiß, diese hemmungslose Plünderung der europäischen Kulturgeschichte mit tiefem Griff in die filmische Trick- und Animationskiste.In dem technisch erstaunlichen Fantasy-Movie werden Gemälde zur Natur, und von den Bäumen tropft die Farbe.Was nur noch übertroffen wird durch die nicht minder hemmungslose Neigung zu großen Gefühlen, großen Tönen, kurz: zu unverstelltem Kitsch.Auch hier tropft es mächtig.Das ist schon fast wieder gerechtfertigt, diese Art, mit der auf einsamen Bergwiesen oder unter rankenden Blütenmeeren Worte der Liebe gesprochen werden.Wenn - und dieser unverzeihliche Kunstfehler steht auch noch am Anfang - der Regisseur nicht die Torheit begangen hätte, mit dem tragischen Unfalltod zweier Kinder zu beginnen.Gattenliebe, die den Tod überwindet, aufopfernde Ärzte und depressive Frauen: schön und gut, die sind erwachsen.Mit dem Tod von Kindern dagegen sollte man weder spaßen noch spielen - auch nicht für ein Emotionsmaximum.Schluß mit den weißen Kindersärgen.

In 12 Berliner Kinos, OV in der Kurbel und im Cinemaxx Potsdamer Platz

CHRISTINA TILMANN

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