zum Hauptinhalt

Kultur: Die Erde, ein Affentheater

Doris Dörrie verwandelt Verdis „Rigoletto“ in München in eine Science-Fiction-Oper

Ein hübsches Bild, ein wenig geschmäcklerisch zwar in seiner kohlrabenschwarzen Zurichtung, aber hübsch. In schwindsüchtigem Hopper-Violett glimmen die Straßenlaternen, davor eine Hand voll Nutten, sich räkelnd und aalend, links ein Stundenhotel, das wie der schiefe Turm von Mantua aus der Optik kippt, und am riesiggroßen Bühnen-Firmament, da zuckt und blitzt es unheilschwanger: „Qual notte d’orrore“ – welche Nacht des Schreckens. Das Finale aus Verdis „Rigoletto“. Schöne, allerschönste Musik. Eine letzte malerische Pietà-Gebärde also und den berühmtesten Sack der Operngeschichte ein wenig beiseite gestrampelt, dann Gilda, röchelnd, Seele aushauchend, in den Armen Rigolettos, des verfluchten Vaters. Aus dem Schnürboden rieselt unterdessen kalt und leise der Schnee. Der perfekte doppelte Liebestod. Und Opas Oper lebe hoch.

Dass Doris Dörrie sich nicht im Mindesten daran stört, dass Gilda, nachdem sie schon gestorben ist, noch einmal aus dem Sack krabbelt, um zum Schlussduett mit Rigoletto anzuheben, nimmt einerseits Wunder – und ist doch andererseits ein verlässliches Indiz. Dafür, dass diese mit Spannung erwartete Aufführung nichts anderes ist als ein einziger topfschlagender Kindergeburtstag, eine gigantische Verpackungsorgie, ein altjüngferliches Liebedienern vor den Bilderwelten einer Jugend, die sich deswegen noch lange nicht ins Musiktheater verirren wird (bei Münchner Preisen schon gleich gar nicht). Was Dörrie mit gewohnt leichter Hand und in lauterer Absicht betreibt, ist so etwas wie die Säkularisierung, die gegenseitige Trockenlegung und Entzauberung der Oper durch das Kino – und des Kinos durch die Oper.

Als Einfallstor, als schwellenangstsenkende Maßnahme mag das angehen; wenn aber jenseits der Schwelle – siehe oben! – immer nur und immer wieder die Klischeefalle gähnt, wenn die schlimmsten Fraglosigkeiten des Opernmetiers fraglos bleiben (weil Dörrie nicht weiß, dass das „Rigoletto“-Schlussduett auf der ganzen Welt seit 150 Jahren nicht anders aussieht als eben so?), vor allem: wenn die Vater-Tochter-Geschichte es von ihrer erzählerischen Motivation an keiner Stelle mit der psychologischen Tiefenschärfe, der glitzernden Ambivalenz der Musik aufzunehmen vermag, dann ist das auf Dauer deprimierend. Und zynisch ist es auch.

Denn im Grunde ist es doch vollkommen egal, ob Gilda (als Prinzessin Leia mit Schneckenfrisur und weißer Kutte) nun à la „Star Wars“ mit einem Neonschwert gemeuchelt wird oder nicht, ob Rigoletto im Astronautenanzug durchs Geschehen stapft und der Sack aus Jute ist oder aus Plastik.

Am alleregalsten aber ist die Sache mit den Affen. Dörrie und ihr Ausstatter Bernd Lepel nämlich lassen Verdis „Rigoletto“ – wie in Franklin J. Schaffners „Planet der Affen“ – auf einem wüsten, leeren Erdball spielen, die Ruinen bekannter Opernhäuser säumen den Horizont, die herumhopsenden Affen haben offenbar einen Fundus geplündert, und Rigoletto und Gilda scheinen hier irgendwann einmal mit einer Sojus-Kapsel angelandet zu sein. Dies alles löst gewisse pittoreske Reize aus, keine Frage. Zappt man das Ausstatterische allerdings weg (der zweite Akt wartet mit einem überdimensionalen Louis-Vuitton-Täschchen auf, in dem die entführte Gilda hockt), dann bleibt – alter Trick – außer Langeweile nicht viel übrig. Sänger und Choristen, die face à face mit dem Dirigenten rampenparallel auf- und abflanieren. Opas Oper eben. Statt Affen hätten es auch Möpse oder Ameisenbären sein können.

Musikalisch steht diese Produktion ebenfalls unter einem wenig günstigen Stern. Ramón Vargas hat sich nach der Generalprobe mit einer Haarallergie (!) aus der Affäre gezogen, der eingesprungene Tito Beltrán wiederum müht sich mit bedrohlich engen Höhen durch die Hits des Herzogs, an Mark Delavans Rigoletto vermisst das Münchner Publikum zu Recht sowohl das Dramatisch-Dämonische als auch einen halbwegs differenzierten Umgang mit den stilistischen Anforderungen der Partie. Und Zubin Mehta am Pult des Staatsorchesters macht gleich vom Vorspiel weg klar, dass es ihm hauptsächlich um eine Lautstärke und ein Tempo zu tun sein würde. Verdi garantiert ohne Brio und so sexy wie ein Laib Brot.

Umso heller strahlt Diana Damraus Stern: Auch sie stimmlich nicht gerade eine Erotikerin, aber mit flutenden Spitzentönen, sauberen Koloraturen und einer lupenreinen Intonation gesegnet. Ovationen für sie, wütende Ablehnung für eine gewohnheitsmäßig feixende Doris Dörrie und einen immer grimmiger dreinschauenden Zubin Mehta. München buht.

Christine Lemke-Matwey

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false