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Kultur: Die Farbe des Rechts

Jedem Krimi-Adepten ist Scotland Yard als Wirkungsstätte braver, aber etwas einfältiger Polizisten bekannt, die den falschen Mann verfolgen, bis der geniale Detektiv - oder der Verfolgte selbst - den richtigen Täter entlarvt."Es war eine der offenkundigen Schwächen meines Freundes", sagt Dr.

Jedem Krimi-Adepten ist Scotland Yard als Wirkungsstätte braver, aber etwas einfältiger Polizisten bekannt, die den falschen Mann verfolgen, bis der geniale Detektiv - oder der Verfolgte selbst - den richtigen Täter entlarvt."Es war eine der offenkundigen Schwächen meines Freundes", sagt Dr.Watson über Sherlock Holmes, "daß er mit weniger intelligenten Leuten nur geringe Geduld hatte." Kein Wunder, daß die Inspektoren Gregson, Hopkins und Lestrade auf Holmes nicht besonders gut zu sprechen sind, aber dennoch oft genug den schweren Gang nach 221 B Baker Street antreten, um bei der Konkurrenz Hilfe zu suchen.

In der realen Welt schnitt die London Metropolitan Police - so der offizielle Name - weitaus besser ab als im Roman und im Film: Sie war die erste, die Verbrecher anhand ihrer Fingerabdrücke identifizierte.Und sie war auch die erste, die einem geflüchteten Mörder mit Hilfe der Telegraphie nachsetzte: Als Dr.Crippen, der die Reste seiner Frau im Kohlenkeller verscharrt hatte, mit seiner als Mann verkleideten Geliebten in Kanada eintraf, wartete Chief Inspector Dew schon auf ihn.Das Geheimnis um den Serienmöder "Jack the Ripper" hat das berühmte Criminal Investigation Department (CID) freilich nie lüften können.

Auch in dem Fall, der die Briten derzeit aufregt, hat sich das CID nicht mit Ruhm bedeckt.Ungewöhnlich an der Lawrence-Affäre ist, daß sie sich gleichzeitig in der Realität und auf der Bühne abspielt.Während die Zeitungen im politische Teil über die Vorschläge des Untersuchungsberichts streiten, preisen sie im Feuilleton das Stück "The Colour of Justice", das den gleichen Mord zum Gegenstand hat, in den höchsten Tönen.

Die Tat liegt schon sechs Jahre zurück: Am späten Abend des 22.April 1993 wurde Stephen Lawrence, der 18jährige Sohn jamaikanischer Einwanderer, im Südosten Londons von Weißen erstochen.Obwohl die Polizei schon am folgenden Tag verläßliche Hinweise über die Täter - im ganzen Viertel bekannte Schläger - erhielt, ließ sie sich mit der Untersuchung Zeit.Erst zwei Wochen später wurden vier der fünf Verdächtigen verhaftet und von Duwayne Brooks, einem Freund von Lawrence, der den Überfall miterlebt hatte, identifiziert.Dennoch verlief die Untersuchung im Sande.Verhaftet wurde hingegen Brooks, weil er an einer Protestdemonstration gegen die Polizei teilgenommen hatte.1994 schlug ein Untersuchungsrichter die Anklage gegen Brooks als Mißbrauch der Amtsgewalt nieder.1995 strengten die Eltern des Ermordeten ein privates Strafverfahren gegen die fünf Verdächtigen an.Auch dieses - außerordentlich seltene - Verfahren schlug fehl, doch brachte es das ganze Ausmaß der polizeilichen Versäumnisse an den Tag.Inzwischen hatte der Fall auch die Aufmerksamkeit der Presse und des Unterhauses erregt.Im Dezember 1997 setzte der frischgebackene Labour-Justizminister Straw eine Untersuchungskommission ein.

Der Bericht, den die Kommission Ende Februar vorlegte, hätte vernichtender nicht ausfallen können.Er bescheinigt der Londoner Polizei, sie sei mit "bösartigem, institutionellem Rassismus" durchsetzt.Der Bericht macht 70 Vorschläge, um dem Übel abzuhelfen, darunter den, Prozesse wiederaufzunehmen, wenn nach einem Freispruch neue, belastende Tatsachen ans Licht kommen - was den Bruch mit einem elementaren Grundsatz des Strafprozeßrechts bedeuten würde.

Die Untersuchungen der Kommissionen zogen sich über acht Monate hin."The Colour of Justice" drängt sie auf einen Theaterabend zusammen.Es ist nicht die erste Untersuchung, die Richard Norton-Taylor für die Bühne bearbeitet hat.Das gleiche hatte er schon mit dem Nürnberger Prozeß und den Anhörungen über die Waffengeschäfte mit dem Irak gemacht.Norton-Taylor hält sich streng an die Aktenlage.Was wir miterleben, ist nicht ein klassisches court-room drama mit theatralischen Höhepunkten und effektvollen Überraschungen, sondern die nackte, wenn auch komprimierte Wahrheit.Auch Regisseur Nicolas Kent und Bühnenbildner Bunny Christie unterstreichen den nüchternen, bürokratischen Charakter der Vorgänge.

Aber gerade der Verzicht auf Knalleffekte ist die wirkungsvollste Methode, den Zuschauer zum Mitdenken zu zwingen.Was er entdeckt, ist nicht ein Rassismus von der grellen Sorte, wie sie im alten amerikanischen Süden gang und gäbe war, sondern eine halb unbewußte Zweiteilung der Welt in Schwarz und Weiß, in der schwarze Opfer auf wenig Sympathien rechnen können.

Dennoch darf man fragen, ob das harsche Globalurteil der Untersuchungskommission nicht einen wichtigen Aspekt ausläßt.Dem Programmheft ist zu entnehmen, daß die britische Polizei im gleichen Zeitraum 14 von 1000 Weißen anhielt und durchsuchte, von 1000 Schwarzen aber 108.Als sich der Londoner Polizeichef, Sir Paul Condon, einen Hinweis auf die hohe Kriminalitätsrate der Schwarzen erlaubte, wurde auch er des Rassismus bezichtigt.Die "New York Times" verzichtet schon seit vielen Jahren darauf, die Hautfarbe von Kriminellen anzugeben.Doch nicht einmal sie behauptet, der hohe Anteil der schwarzen Strafgefangenen in Amerika - bezogen auf den Anteil an der Bevölkerung, ist er siebenmal so hoch wie der der weißen - sei nur auf den Rassismus der Justiz zurückzuführen.Auch in England ist die Disparität mit political correctness nicht aus der Welt zu schaffen.

JÖRG VON UTHMANN

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