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Kultur: Die geballte Stadt

Das Rhein-Ruhr-Gebiet will eine Metropole von der Bedeutung Londons sein – noch aber kämpft jede Kommune meist für sich selbst. Eine ehrgeizige Düsseldorfer Ausstellung entwirft das neue Leitbild der Region

Das Wort „Metropole“ besitzt einen zauberischen Klang. Jede mittlere Großstadt möchte heutzutage eine Metropole sein; und wenn schon nicht eine Metropole schlechthin, so doch zumindest eine des Was-auch-immer.

Was für eine Metropole ist denn das Ruhrgebiet – oder, wem das nicht genügt, das Rhein-Ruhr-Gebiet?

„Mit über 6,5 Millionen Einwohnern“ könne die Stadt aufwarten und sei „damit vergleichbar mit London“, führt der Pressetext eine Neuschöpfung namens „RheinRuhrCity“ ein: „Sie betreten eine der großen Metropolen der Welt“. Da wird man neugierig – und soll es auch, denn das NRW-Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf, eine Art Marketing-Einrichtung des größten deutschen Bundeslandes, nimmt sich in einer ambitionierten Ausstellung vor, das Gedankenspiel einer kommunalen Zusammenfassung der Städte von Köln über Düsseldorf und Essen bis Dortmund unter dem Fantasienamen „RheinRuhrCity“ vorstellbar zu machen.

Als „unentdeckte Metropole“ preist der Ausstellungstitel sein Gedankenkind an. Die Begleittexte zählen das Potenzial auf, sähe man alles nur zusammen: ein „unerreicht dichtes Netzwerk an Universitäten, Akademien und Fachhochschulen“, eine „unvergleichliche Kulturszene von mehr als 150 Museen, zehn repräsentativen Sprechbühnen, fünf Opernensembles und 17 großen Orchestern“, mit „Mega-Arenen und Ganzjahres-Skihallen“, nicht zu vergessen „mit mehreren Top-Fußballclubs“ – oder kurz: „eine Stadt mit Intelligenz“.

Was in dieser beeindruckenden Aufzählung fehlt, ist die Industrie. Kohle und Stahl – stand das nicht einmal fürs Ruhrgebiet? Die Zeiten sind vorbei. Das Ruhrgebiet hat seines Strukturwandels ersten Teil, die Aufgabe der Altindustrien, bis auf beschauliche Reste abgeschlossen. Mit dem zweiten Teil, der Schaffung neuer Tätigkeitsfelder und damit Arbeitsplätze, ist man ein gutes Stück vorangekommen. Woran es aber vor allem hapert, ist eine verbindende, gemeinsam getragene Zielvorstellung, neudeutsch: eine Identität.

Die Agglomeration an Rhein und Ruhr – denn nur dieser Begriff lässt sich derzeit mit Fug und Recht benutzen – will sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 bewerben. Das interne Gerangel tut hier nichts zur Sache; jedenfalls hat die Olympia-Idee allen Beteiligten deutlich gemacht, dass es mit der bloßen Addition weiträumig verstreuter Sportstätten nicht getan ist. Wie so oft, soll die Olympia-Bewerbung als Vehikel dienen, jahrzehntelang ungelöste Probleme endlich anzupacken. Das Problem des Ruhrgebietes ist seine verwaltungsmäßige Zersplitterung. Sie war stets politisch gewollt. Mit dem Ende des Montan-Zeitalters ist deutlich geworden, dass die sorgsam gehütete Kirchturmpolitik kontraproduktiv wirkt: Die Kommunen buhlen um dieselben Neuansiedlungen, Forschungseinrichtungen und Fördergelder, statt zu Kooperation und Aufgabenteilung zu finden – und Strategien zu entwickeln, um der Abwanderung und Schrumpfung, kurz gesagt der drohenden Perspektivlosigkeit zu begegnen.

Wenig gefruchtet haben die in jüngster Zeit unternommenen Versuche nicht zuletzt des nordrhein-westfälischen Städtebauministers Michael Vesper von den Grünen, die hergebrachten politischen Verkrustungen aufzubrechen. Umso gewagter sind die Visionen, die die Düsseldorfer Ausstellung jetzt vorführt. Da geht es nicht um so trockenes Zeug wie die Stärkung des Kommunalverbandes Ruhr (KVR) oder gar die Neuordnung der Zuständigkeiten, regieren doch ins Ruhrgebiet nicht weniger als drei Regierungsbezirke und zwei Landschaftsverbände hinein, die ihre Besitzstände bislang eisern zu verteidigen wussten. Es geht um die Vision einer Rhein-Ruhr-Stadt, die kurzerhand auch noch die Landeshauptstadt Düsseldorf und gar deren ewige Konkurrentin Köln einbezieht. Und unter einem so weiten Blickwinkel kommt man dann auf die stolz verkündeten, für sich gesehen tatsächlich beeindruckenden Zahlen.

Damit das Ganze anschaulich wird, hat das NRW-Forum die holländische Architektengruppe MVRDV um die passende Visualisierung gebeten. Heraus kam dabei zunächst einmal ein eingängiges Logo, das die vertraute Landkarte von NRW als „Blob“, als frei schwebendes Etwas mit sanften Rundungen zeigt. MVRDV, das ist das Jungstar-Trio Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, das mit dem niederländischen Pavillon bei der Expo 2000 in Hannover Furore gemacht hat, jener gestapelten Landschaft, die die räumliche Enge der Niederlande auf witzige Weise anschaulich machte. Auch in ihren nutzbaren Bauten sind MVRDV – die Buchstaben stehen für die Nachnamen der Drei – stets mit pfiffigen Ideen aufgefallen.

Vor allem aber wissen sie zum einen ihre Architektur im größeren, manchmal auch großspurigen Zusammenhang zu platzieren und zum anderen ihre Computer zu bedienen. Sie liefern nicht einfach Gebäudeentwürfe, sondern einen theoretischen Kontext. Für die Düsseldorfer Ausstellung machten sich MVRDV Gedanken über „Szenarios“, über denkbare Entwicklungen dieser Hybrid-Stadt, die da als „RheinRuhrCity“ eben auch ein Vehikel der Landespolitik sein soll und erst einmal ins Bewusstsein der Öffentlichkeit eingepflanzt werden muss.

Der Besucher des NRW-Forums tritt auf ein gigantisches Satellitenfoto, das den Ballungsraum an Rhein und Ruhr plastisch werden lässt: Hier kann jeder erkennen, wo er wohnt und wie nah doch die kommunalpolitisch getrennten Nachbarstädte einander in Wirklichkeit sind. Wir sind eine Region, lautet die Botschaft, im Foyer wie in den folgenden vier Sälen; vor allem aber in den aufwändigen Computeranimationen und -installationen, mit denen MVRDV den Besuchern pures Entertainment bieten.

In einem digital bearbeiteten Film stellen die flotten Niederländer vier Zukunftsszenarien vor, verbildlicht stets an den fünf optischen „Haltepunkten“ eines stark verfremdeten Hubschrauberfluges über Duisburg-Hafen, Essen-City, Düsseldorf-Flughafen und -Rheinufer sowie – stellvertretend für die ländliche Region – den Landkreis Mettmann. Erstes Szenario: „Park City“ – mit Abwanderung der Menschen und Wiederkehr der Natur. Kann man das ernsthaft wollen? Rhetorische Frage. Dann schon lieber „Archipel City“: Jede Stadt konzentriert sich, freilich isoliert, auf ihre Stärken. Duisburg wird weltgrößter Binnenhafen, Düsseldorf – na, macht mit seinem Flughafen wenigstens Frankfurt Konkurrenz. Dritte Vision: „Campus City“. Das kommt ernsthaften Gedankenspielen schon weit näher. Nicht zuletzt die für das Selbstverständnis der Ruhrregion so unendlich segensreiche „Internationale Bauausstellung Emscher-Park“, die ein ganzes Jahrzehnt lang zwischen 1989 und 1999 geduldig Bauten und Projekte anschob, hat Meilensteine auf dem Weg auch zu einer Bildungslandschaft Ruhr gesetzt. Aber MVRDV gehen einen Riesenschritt weiter: „Network City“ heißt das, was man wohl als Analogon zur Computer-Denke bezeichnen könnte, die vollständige Vernetzung einer Mega-Stadt, deren Mobilitätsangebote augenscheinlich zum Selbstzweck geraten. Jedermann ist ständig irgendwohin unterwegs. Und mitten durchs Bild schießt pfeilschnell der Transrapid, der unter dem Namen „Metrorapid“ zum Lieblingskind der NRW-Landesregierung avanciert ist – als ob man mit zehn Minuten Zeitgewinn beim Durchqueren des Rhein-Ruhr-Gebiets die Strukturprobleme der Region lösen könnte.

Im Nachbarsaal schließlich ist Mitmachen angesagt. Hier kann der Besucher mittels des ausgeklügelten Programms „Regionmaker“ (Copyright natürlich MVRDV) an Hand zahlreicher Parameter seine eigene Wunschzukunft zusammenbasteln – und staunen, wie die verschiedenfarbigen Klötzchen und Hütchen auf dem Bildschirm tanzen und sich zu neuen regionalen Schwerpunkten sammeln, die wiederum auf negative Auswirkungen wie Verschmutzung hin untersucht werden können, um auf diese Weise zur Optimierung der gewählten Ziele zu gelangen. Viel besagt das nicht – jedenfalls nicht mehr, als dass man mit heutigen Computerprogrammen erstaunliche Dinge berechnen kann.

Worüber zum Beispiel keine Aussagen möglich sind, das sind die politisch wirksamen Parameter: das Beharrungsvermögen der Amtsinhaber und der Lokalpatriotismus der Bürger, um nur zwei von erheblicher Bedeutung zu benennen. So beschleicht den ortsfremden Besucher das Gefühl, die ganze Veranstaltung diene hauptsächlich dazu, die Landeshauptstadt Düsseldorf – historisch gesehen der Hauptnutznießer der Zersplitterung des Ruhrgebiets – im Ringen um eine reformierte Kommunalstruktur auch weiterhin als Mittelpunkt zu verankern. Neben Grünen-Minister Vesper saß denn auch Düsseldorfs OB Joachim Erwin (CDU) auf dem Podium der Eröffnungs-Pressekonferenz. Vesper nannte die Ausstellungsidee während der Vorbereitung einmal „ein Laboratorium zum Nachdenken bei gelockerter Vernunft“. Das ist so schön, dass die Macher es gleich als Motto an die Wand geschrieben haben.

Ohne Selbstironie wäre der visionäre Höhenflug des NRW-Forums mehr Ärgernis als Amusement. Die politische Kärrnerarbeit an Rhein und Ruhr verlangt andere Qualitäten. Und eine Metropole lässt sich nicht herbeireden, auch wenn der Retortenname „RheinRuhrCity“ schon einmal bereit liegt.

Düsseldorf, NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Ehrenhof 2, bis 16. Februar 2003.

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