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Kultur: Die globale Mutti

Der Amerikaner ist arrogant, kriegslüstern, religiös, rächend, waffenvernarrt, umweltverschmutzend, er schert sich keinen Deut um den Rest der Welt, liebt die Todesstrafe und das Schwarz-Weiß-Denken. Wer einen solchen Satz formuliert, spricht vielen Europäern aus dem Herzen.

Der Amerikaner ist arrogant, kriegslüstern, religiös, rächend, waffenvernarrt, umweltverschmutzend, er schert sich keinen Deut um den Rest der Welt, liebt die Todesstrafe und das Schwarz-Weiß-Denken. Wer einen solchen Satz formuliert, spricht vielen Europäern aus dem Herzen. Doch die Aufzählung hat einen Nachteil. Sie steht im Verdacht des Anti-Amerikanismus. Denn beides hat derzeit Konjunktur: die Schelte auf Amerika und die Schelte auf die Schelter. Wie ist es umgekehrt? Gibt es einen - der Begriff ist hässlich, aber unvermeidlich - amerikanischen Anti-Europäismus?

Na klar. Der Europäer ist feige, eingebildet, psychotisch, verweichlicht, vom Wesen her sozialistisch, er liebt das Moralisieren und leidet unter seiner Impotenz. So denken viele Menschen auf der anderen Seite des Atlantiks. Auf den Punkt gebracht wurde die amerikanische Verachtung der europäischen Geisteshaltung nun in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Atlantic Monthly". Der Autor des Artikels "The case against Europe" heißt Walter Russell Mead. Das ist ein landesweit bekannter Kolumnist, Mead sitzt im "Council on Foreign Relations" und gilt als Experte in Fragen der US-Außenpolitik.

Milch und Kekse

Dem Urteil der Europäer sei grundsätzlich nicht zu trauen, mokiert sich Mead. "Appeasement ist ihre zweite Natur. Sie waren noch nie mit einem Diktator konfrontiert - Hitler, Mussolini, Stalin, Gaddafi, Khomeini, Saddam Hussein -, den sie nicht durch Zugeständnisse gefügig machen wollten." In einem Ton, der Mitleid mit Belustigung mischt, skizziert der Autor verschiedene Bilder, um seine Abscheu zu veranschaulichen. Immer noch hofften die Europäer, eine Art "globaler Mutti" spielen zu können, den Part der Verständnisvollen also als Ausgleich zum strengen amerikanischen Vater. "Wenn Daddy den bösen Iran ohne Suppe auf sein Zimmer schickt, hat die globale Mutti schon heimlich Milch und Kekse neben das Bett gestellt. Für diese Haltung will sie dann von beiden geliebt werden: von dem strengen Vater und vom bösen Iran."

Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Folglich wird Amerika künftig weniger auf das "Gequake" aus Europa hören. "Amerikaner können Wochen, Monate, ja sogar Jahre leben, ohne den Eindruck zu haben, von europäischer Kultur, Militärmacht oder Wirtschaftsentwicklung in irgend einer Weise beeinflusst zu werden. Europäer dagegen denken ständig an Amerika." Dabei seien sie für die meisten Probleme auf dieser Welt selbst verantwortlich. Wer hat denn die Dritte Welt durch den Kolonialismus ruiniert? "Als sich die Europäer zurückzogen, haben sie dort einen Riesenschlamassel und tiefe Hassgefühle hinterlassen: Indien und Pakistan, Israel und Palästina, Hutu und Tutsi." Wer diesen Saustall ausmisten soll, ist natürlich ebenfalls klar: Amerika.

Mead schließt seinen Artikel mit einer Metapher aus der TV-Zeichentrickserie "Road Runner". Der Road Runner ist ein kleiner, gerissener Vogel Strauß, der seinem Widersacher, dem Koyoten, immer wieder entkommt. Am Ende jeder Sendung liegt der Koyote zerzaust am Boden, während der Road Runner triumphierend "Beep Beep!" ruft. In seiner dummen Überheblichkeit gegenüber den USA gleiche Europa dem Koyoten, schreibt Mead. Auch der Koyote hält sich stets für superschlau, an seinem Briefkasten steht sogar "Wile W. Coyote, Genius". Den Road Runner fängt er trotzdem nicht. Folglich rufen die Amerikaner über den großen Teich bloß amüsiert: "Beep Beep!"

Meads Artikel ist ein kleines Manifest des sich neuerdings immer prononcierter artikulierenden amerikanischen Anti-Europäismus. Genährt werden die Sentiments durch ein neu erwachtes Bewusstsein der eigenen Macht. Auf allen Gebieten - Militär, Wirtschaft, Kultur - fühlen sich die USA heute stärker als je zuvor. Die Verteidigungsausgaben sind astronomisch hoch. In dieser Beziehung gelten die Europäer als geizig. Die amerikanische Ökonomie zieht weiterhin alle anderen Ökonomien im Schlepptau hinter sich her. Und kulturell exportiert die Film- und Fernsehindustrie ihre Produkte in jeden Winkel der Welt - allen europäischen Gegenanstrengungen zum Trotz. Nur noch in Nordkorea soll es ein kleines Dorf geben, dessen Bewohner ohne Hollywood, CNN und das Internet aufwachsen.

Auch Charles Krauthammer, Kolumnist der "Washington Post", schreibt sich als Vertreter der Anti-Europäismus immer heftiger in Rage. Anfang März verfasste er einen ähnlich fulminanten Artikel wie Mead mit der Überschrift "Die Achse der Gereiztheit". Gemeint war die europäische Reaktion auf die Bush-Rede über die Achse des Bösen. "Die Europäer wissen genau, dass ihre Sicherheit allein von unserer Stärke und unserem Schutz abhängt. Sie sind die Profiteure der amerikanischen Macht." Und was ist der Dank? "Sie sitzen da und schmollen. Aber was sollen sie auch sonst machen? Ihr wahres Problem ist ihre Überflüssigkeit."

Grollen und Schmollen

Der Vorwurf der Irrelevanz ist ein häufiges Motiv im amerikanischen Anti-Europäismus. Das Verhältnis der Unterordnung, schreibt Krauthammer, habe zwar auch während des Kalten Krieges existiert. Doch im Kampf gegen die sowjetische Bedrohung konnte Europa zumindest den Eindruck einer gewissen strategischen Bedeutung vermitteln. Das sei seit dem 11. September und dem Krieg in Afghanistan anders. "Die Europäer stehen am Spielfeldrand. Sie können Polizeiarbeiten übernehmen, aber keine Kriege führen." Der Vergleich zum hochtechnisierten amerikanischen Arsenal lässt nur einen Schluss zu: "Ihr Militär ist überflüssig geworden."

Auch Krauthammer endet seinen Beitrag mit einem anti-europäischen Fanfarenstoß. "Wir befinden uns in einem Verteidigungskrieg. Es ist auch ein Krieg für die Erhaltung der westlichen Zivilisation. Wenn die Europäer sich weigern, daran teilzunehmen, bitteschön. Wenn sie vollends abdanken wollen, bitteschön. Wir werden sie unseren Mantel tragen, aber uns nichts mehr von ihnen sagen lassen." Der Vorwurf, er sei ein Unilateralist, prallt von Krauthammer ab. Er ist stolz auf dieses Prädikat.

Wie man sieht: Im Wettstreit um die blühendsten Ressentiments halten die Amerikaner ganz gut mit. Nur eines ist dort noch kaum kultiviert worden: die Schelte auf die Schelter Europas.

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