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Kultur: Die Globalisierungsfalle

Das große Geheimnis ist gelüftet: Vier Wochen vor Start der diesjährigen Documenta11 in Kassel hat ihr künstlerischer Leiter Okwui Enwezor die Liste mit den Namen der eingeladenen Künstler bekannt gegeben. Die hoch gespannten Erwartungen, bis zuletzt befördert durch Enwezors unwirsche Art, Fragen nach Künstlerpersönlichkeiten als unnötige Star-Fixierung abzuqualifizieren, wurden enttäuscht: Die Welt der Kunst neu erfunden hat auch die diesjährige Documenta-Liste nicht.

Das große Geheimnis ist gelüftet: Vier Wochen vor Start der diesjährigen Documenta11 in Kassel hat ihr künstlerischer Leiter Okwui Enwezor die Liste mit den Namen der eingeladenen Künstler bekannt gegeben. Die hoch gespannten Erwartungen, bis zuletzt befördert durch Enwezors unwirsche Art, Fragen nach Künstlerpersönlichkeiten als unnötige Star-Fixierung abzuqualifizieren, wurden enttäuscht: Die Welt der Kunst neu erfunden hat auch die diesjährige Documenta-Liste nicht.

Angetreten war Enwezor mit dem Anspruch, die überwiegend europa- und amerikazentrierte Kunstwelt mit Künstlern anderer Kontinente bekannt zu machen: Seine Auswahl solle "exceedingly transnational" sein, verkündete er noch auf der Pressekonferenz: "Kunst ist sehr unterschiedlich und nicht nur in einem Teil der Welt zuhause." Die Schwierigkeit nationaler Zuordnung wird durch diesen transnationalen Ansatz jedoch eher betont als überspielt: Durch den mit Leidenschaft vorgetragenen Vorsatz, die Künstler anderer Kontinente zu berücksichtigen, wird deren nationale Zugehörigkeit als Kriterium überbetont. So ist auch die Aussage, dass rund ein Drittel der eingeladenen Künstler aus Afrika, Asien und Lateinamerika komme, irreführend: Fast die Hälfte der Geladenen, wie die als Kind aus Uganda nach London geflohene Multimedia-Künstlerin Zarin Bhimji, die in New York lebende iranische Künstlerin Shirin Neshat oder der in Nigeria geborene, aber in den USA lebende Documenta-Macher selbst sind dem westlichen Kulturkreis schon lange nahe. Zudem verführt der Globalitäts-Anspruch zu einer kunstfernen Länder-Arithmetik: Aus Asien, das im sechsköpfigen Kuratoren-Team nicht vertreten war, kommen gerade einmal drei Künstler, aus Russland oder den Ländern der ehemaligen UdSSR niemand.

So liegt der Schwerpunkt mit über 70 Künstlern erneut im europäisch-nordamerikanischen Raum. 118 Künstler wurden geladen, wesentlich weniger als in den Jahren zuvor. Rund 70 Arbeiten werden extra für die Documenta angefertigt, drei der Geladenen sind während der Planung verstorben. Allein aus Deutschland sind 12 Künstler und ein Künstlerkollektiv geladen: Altmeister der Düsseldorfer Fotoschule wie Hilla und Bernd Becher sowie deren Schülerin Candida Höfer, die die Räume der Documenta fotografisch festhalten soll, Documenta-Standardgast Hanne Darboven, die eine neue Komposition vorstellen wird, Berliner Shooting-Stars wie die für den Berliner Kunstpreis nominierte Maria Eichhorn sowie Manfred Pernice, Isa Gentzken, der Fotograf Andreas Siekmann und der Installations- und Performancekünstler John Bock sowie der Karlsruher Grafiker Ecke Bonk.

Stars wie Louise Bourgeois, Jeff Wall, Alfredo Jaar, der gerade in München ausgezeichnete James Coleman oder Luc Tuymans sind eher die Seltenheit. Auffällig ist die hohe Zahl von Filmregisseuren oder solchen, die an der Grenze zwischen Film und Videokunst agieren: Chantal Akerman, Kutlug Ataman, der im vergangenen Jahr verstorbene Niederländer Johan van der Keuken, Avantgarde-Altstar Jonas Mekas, die Fotografin und Regisseurin Ulrike Ottinger und der mit seinem Eichmann-Film bekannt gewordene Eyal Sivan. Auch der Bereich Architektur ist mit dem in Frankreich lebenden Ungarn Yona Friedman, der Gruppe "Asymptote Architecture" sowie der Hamburger Gruppe "Park Fiction" eingemeindet. Das umfassendste Projekt stammt von dem Schweizer Thomas Hirschhorn, der seit Monaten in einem Vorort an seinem mehrteiligen "Bataille-Monument" arbeitet, das Bibliothek, Jugendarbeit und Archiv vereint.

Ein neues Gesicht wird die Documenta11 durch eine weitere Spielstätte erhalten: Die ehemalige Binding-Brauerei am Rande der Stadt ist von dem Wiener Architektenteam Kühn/Malvezzi in ein verführerisches Kunst-Labyrinth verwandelt worden. Auf rund 60 000 Quadratmetern wird hier 40 Prozent der Ausstellung unterkommen - neben Friedericianum, Documenta-Halle und Orangerie ein deutlicher Akzent in Richtung Industrie-Kultur, der mit seinen Künstlerkojen auch an die Arsenale-Halle der Biennale in Venedig erinnert. Wenn das Publikum im heißen Kasseler Sommer dann mit dem Schiff zwischen Documenta-Halle und Brauerei pendelt, wird die triste Stadt etwas mediterranen Flair erhalten.

Christina Tilmann

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