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Deutschland reagiert sich ab. Anhänger der islamfeindlichen Gruppe „Pro Köln“ demonstrieren gegen den Bau einer Moschee. Foto: Reuters

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Interview: Die Hasszange

Wenn sich die extremen Ränder treffen: Ein Gespräch mit Yassin Musharbash, Autor des Romans "Radikal", über die Entstehung politischer Gewalt.

Herr Musharbash, vor den Attentaten von Anders Breivik und dem Auffliegen der „Zwickauer Zelle“ haben Sie ein Buch mit dem Titel „Radikal“ geschrieben. Darin werden gutbürgerliche Menschen zu Verschwörern und Gewalttätern. Wissen Sie mehr als die Geheimdienste?

Ich wollte die Radikalisierung von islamophoben Menschen beleuchten. Ich habe ja kein Buch über Nationalsozialisten geschrieben, sondern über sich radikalisierende Islamhasser. Was aber ebenfalls darin vorkommt sind dubiose V-Leute. Auch habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn es eine Terrorzelle gäbe, die aus Hass mordet und sich nicht dazu bekennt. Wie real das wirken würde, konnte ich nicht ahnen.

Sie sind Autor und Journalist, haben Ihre Ideen aber als Roman aufgeschrieben. Hinter der fiktionalen Form kann man sich ja auch verstecken.

Man könnte auch ein Sachbuch über die islamophobe Szene schreiben. Aber der politische Thriller ist ein gutes Medium, um reale, aber auch entstehende Konflikte anzusprechen. Deswegen habe ich mich für eine Art literarisches Gedankenexperiment entschieden. In meinem Roman wird der aufstrebende muslimische Abgeordnete Lutfi Latif bedroht, sowohl von militanten Islamisten als auch von Islamhassern. Er stirbt bei einem Anschlag – und die Ermittler werden mit den Gemeinsamkeiten beider Gruppen konfrontiert.

Gibt es Gemeinsamkeiten von Islamisten und Islamhassern?

Ja, an den radikalen Rändern gibt es die. Beide Gruppen haben das Gefühl, in der Defensive zu sein, die letzte Verteidigungslinie zu bilden, sie sehen sich als auserwählte Widerstandskämpfer. Außerdem vergrößert sich der Kreis ihrer eingebildeten Feinde immer weiter. Al-Qaida tötet vor allem Muslime, Breivik ermordete Norweger. Hinzu kommt eine Umdeutung der Geschichte, im Grunde sogar ihre Aufhebung: Dschihadisten leben gedanklich im 7. Jahrhundert, die anderen sehen sich als Kreuzzügler. Und das nicht etwa im metaphorischen Sinne.

Ist der Abgeordnete in Ihrem Buch Cem Özdemir oder Omid Nouripour nachempfunden, der als einziger Bundestagsabgeordneter „Islam“ als Konfession im Bundestagshandbuch stehen hat?

Keinem von beiden, aber es sind Elemente beider in der Figur enthalten. Allerdings ist Lutfi Latif sehr fromm und zugleich ein weltgewandter Intellektueller. Er verbindet persönlichen Glauben mit gesellschaftlichem Engagement. Damit macht er sich Feinde in allen Lagern.

Cem Özdemir hat zuletzt in der Talkshow von Günther Jauch gefragt, ob nicht „ein gewisses Buch eines bekannten Autors“ zur gewalttätigen Aufladung der Jugend beitrage. Gemeint war „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin.

Ich würde das klar trennen: Thilo Sarrazin ruft in seinem Buch nicht zur Gewalt auf. Die Differenzierung ist hier ebenso wichtig wie die zwischen Islamhassern und Neo-Nazis. Wir wissen, dass Bücher, Propaganda und Hasspredigten alleine nicht unmittelbar zu Gewaltbereitschaft führen. Persönliche Umstände spielen eine große Rolle, oft auch ein Kreis Gleichgesinnter – jedenfalls niemals nur ein Buch im Schrank.

Im Januar kommt Sarrazins Buch mit frischem Vorwort als Taschenbuch auf den Markt. Wird da nicht Öl ins Feuer gegossen?

Das einzig Gute an diesem Buch ist, dass es unlesbar ist. Persönlich finde ich Sarrazins Sound, die Art und Weise, wie er über ganze Gruppen von Menschen herzieht, allerdings beklemmend. Er hat die Grenze der Debatte ins Ungute verschoben, und das Buch hat mich wütend gemacht. Aber es ist ein freies Land, und ich bin gegen Zensur.

Vor allem nach den Attentaten von Oslo wurden Publizisten wie Broder, Sarrazin, aber auch konservative Politiker der geistigen Mittäterschaft beschuldigt.

Dieser Begriff ist schwierig, er hat etwas von intellektueller Sippenhaft. Weder Broder noch Sarrazin liefern ihren Lesern ein geschlossenes Weltbild. Aber natürlich können Bücher und Worte gefährlich sein, sie können Schranken einreißen helfen und tatsächliche oder eingebildete Rechtfertigungen liefern. Bei Sarrazin bedrückt mich besonders die Wirkung auf die Mitte der Gesellschaft.

Der Religionssoziologe Detlev Pollack glaubt, dass Integration in Deutschland zu lange unter „Sagbarkeitsgrenzen“ litt. Sind die hitzigen Debatten der letzten Jahre ein Symptom für ein halbes Jahrhundert verpasster Auseinandersetzung?

Meiner Meinung nach wurde das Thema Integration keineswegs totgeschwiegen. Es gab nur die falschen Antworten. Politische Fehlentscheidungen zum Beispiel, wie die viel zu spät erfolgte Reform des Einbürgerungsrechts. Deutschland war schon lange ein Einwanderungsland, als die Politik das endlich nachvollzog. Und es haben viele jahrelang darüber geschrieben, geforscht und publiziert.

Majida al-Mahdi, Studentin aus Ägypten, hat sich vor kurzem aus Protest gegen die Rolle der Frau in ihrem Land nackt ablichten lassen. Dafür wurde sie prompt vom islamfeindlichen Internetforum „Politically Incorrect“ gefeiert. Beginnt jetzt die Vereinnahmung islamkritischer Muslime?

Zunächst einmal weiß ich nicht, ob „islamkritisch“ die passende Beschreibung für Majida al-Mahdi ist. Aber in der Tat ist „Politically Incorrect“ schnell dabei, Muslime dieser Art zu vereinnahmen. Sie müssen nur eine Bratwurst essen, ein Bier trinken oder sich ausziehen, um vermeintliche Kronzeugen zu werden – wobei nicht einmal klar ist wofür eigentlich, denn die Grundannahme scheint dort ja zu sein, dass Muslime genau so etwas nicht tun. „Politically Incorrect“ und andere sehen überall angebliche Tabus, die gebrochen werden müssen. Aber diese Tabus gibt es meistens gar nicht. Die „Aber das alles darf man ja nicht sagen!“-Mentalität ist gefährlich, weil man sich damit in die Opferrolle imaginiert. In den Kommentarspalten von PI kann man beobachten, was für eine Radikalität sich daraus entwickeln kann.

Das Gespräch führte Nik Afanasjew.

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