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Kultur: Die Herausforderung

Tankred Dorst und Bayreuths neuer „Ring“

Die Meldung, dass Wolfgang Wagner, der große, alte, zähe Fuchs vom Grünen Hügel, nun mit dem Dramatiker und Erzähler Tankred Dorst über den neuen, 2006 kommenden „Ring“ in Bayreuth spricht, wird viele Beobachter der Szene verblüffen.

Erstaunt mit seinen Dispositionen hat der vor Jahren schon als versteinert abgeschriebene (und weggewünschte) Enkel Richard Wagners die Öffentlichkeit zuletzt allemal. Christoph Schlingensief den „Parsifal“ anzuvertrauen, war bewundernswert tollkühn; und das Engagement des dänischen Dogma-Filmemachers Lars von Trier als „Ring“-Regisseur galt weltweit als Coup. Zwar hat Trier den „Ring“, für den er bereits ein minutiöses Storyboard verfasst hatte, inzwischen aus persönlichen Gründen abgesagt. Doch Wolfgang Wagner, der von Trier (und bisweilen auch von Schlingensief) mit dem Elan eines Kunstrevoluzzers sprach, er schien in einen geheimen Jungbrunnen gefallen zu sein. Nass und hügelgrün hinter den schweren Ohren.

Durch Triers unerwarteten Rückzug ist die Selbsterneuerung der Wagner-Festspiele – trotz Schlingensiefs Multikult-Aufführung – zunächst ins Stocken geraten. Und nun will W.W. noch vor seinem 85. Geburtstag am 30. August den Regisseur des nächsten „Nibelungenrings“ bekannt geben. Falls die Herren sich in den beiden kommenden Wochen einigen, hätte man mit Tankred Dorst wiederum einen Künstler gefunden, der noch nie eine Oper inszeniert hat. Und bei der Premiere im Sommer 2006 wäre Dorst bereits 80 Jahre alt.

Das klingt nun gar nicht nach Verjüngung. Aber in der Kunst regieren nicht nur Biologie und Kalender. Im Kopf und Temperament und auch in seinen Werken wirkt dieser großgewachsene weißlockige Dichter, der bis hin zum BüchnerPreis alle bedeutenden literarischen Auszeichnungen erhalten hat, viel jünger als mancher Dreißigjährige. Dass ihn Wolfgang Wagner kürzlich angesprochen hat, macht ihn erst mal über sich selbst lachen: „Das war in meiner Lebensplanung überhaupt nicht vorgesehen!“

Es macht ihn freilich auch neugierig. Als Herausforderung für einen, der nach einem halben Hundert Werken „noch etwa dreißig Stücke schreiben möchte“ und viele davon schon im Kopf oder in Entwürfen mit sich als beflügelnde Lebensfracht herumträgt. Wie ist Wagner nun auf ihn gekommen? „Er hat vor zwanzig Jahren meinen ,Merlin’ in den Münchner Kammerspielen gesehen und uns daraufhin eingeladen, wann immer wir wollen, nach Bayreuth zu kommen.“

Nicht erst seit damals sehen Dorst und seine Frau und Muse und Mitarbeiterin Ursula Ehler nun die meisten Generalproben von Neuinszenierungen auf dem Grünen Hügel. Die beiden saßen schon 1976 in der Generalprobe von Patrice Chéreaus Jahrhundert-„Ring“ und haben die vier Aufführungen auch danach noch dreimal gesehen, bis hin zur stundenlang bejubelten allerletzen Vorstellung 1980. Die Verbindung mit Chéreau wiederum rührt daher, dass dieser Dorsts Revolutionsdrama „Toller“ einst an Strehlers Mailänder Piccolo Teatro inszeniert hatte.

Gerade kommen Dorst und Ehler aus Salzburg vom neuen „Rosenkavalier“, und das Musiktheater durchgeistert Dorst seit langem. Mindestens fünf seiner Werke wurden vertont, noch vor dem Schauspieldebüt stand Ende der 50er Jahre sein gesungenes Ballett „La Buffonata“ (Musik Walter Killmayer), und die nächste Uraufführung wird im September Dorsts Neudichtung von Purcells „King Arthur“.sein. Auch gibt es noch ein „Merlin“-Projekt mit dem Komponisten Manfred Trojahn und Daniel Barenboim. „Merlin“, dieser Mythenstoff um die Grals- und Götterdämmerung der Artus-Runde, wäre auch die Brücke zum „Ring“. Dorst sagt uns: „Es ist nichts entschieden. Ich habe auch mit Christian Thielemann, dem Dirigenten, noch nie gesprochen. Ich weiß nur, wenn ich es mache, dann ganz anders als Chéreau. Ich würde versuchen, wirklich die große mythische Geschichte zu zeigen, ohne es ins Bürgerliche oder Kleinbürgerliche zu verwandeln. Trotzdem müsste es ganz heutig sein: Wagner mit unseren Augen gesehen.“ Allerdings könnte Dorst, der im Theater oder fürs Kino („Eisenhans“) bisher nur bei eigenen Stoffen Regie geführt hat, dann erstmals nicht in den Text eingreifen. „Das wäre tatsächlich das Risiko – und die Herausforderung.“

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