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Bücherberg. Während des Internationalen Literaturfestivals wird Berlin zu einer Hauptstadt der Leser.

© dpa

Internationales Literaturfestival Berlin: Die himmlischen Gefilde der Literatur

Die griechische Schriftstellerin Amanda Michalopoulou hat einen Roman über Gottes Ehefrau geschrieben. Sie stellt ihn heute auf dem Internationalen Literaturfestival vor, Sprecherin der deutschen Übersetzung ist die Schauspielerin Hanna Schygulla. Wir veröffentlichen einen Essay von ihr über die Leichtgläubigkeit und die Kulturen des Vertrauens.

Es gibt keinen Schriftsteller ohne Glauben an die Metaphysik. Selbst wenn Joyce an Nora schrieb: „Wie ich Gott und den Tod hasse“, oder Márquez erklärte: „Ich glaube nicht an Gott, aber ich fürchte ihn“, bringen sie ihre Ehrfurcht vor seiner Existenz zum Ausdruck. Schriftsteller, die nicht an Gott glauben, glauben zumindest an die Literatur. Rechnet man die Leser hinzu, so kann man von einer religiösen Bewegung mit Millionen von Gläubigen sprechen, mit großen Unstimmigkeiten bezüglich des zentralen Dogmas (was Literatur ist und was nicht) und einem erkennbaren Ritual (Neigen des Kopfes über ein Buch, innerer Rückzug, Lesung des Gebetstextes).

Der literarische Gebetstext verspricht eine Welt mit klareren Absichten, intensiveren Farben, offenkundigeren Begegnungen. In der großen Literatur ist der Himmel strahlender, die Menschen sind verständlicher in ihren Motiven, die Liebe trifft einen direkt ins Herz, selbst wenn man nicht verliebt ist. Das Leben im Roman will einem sagen: So wäre ich, wenn ich mich selbst ernst nehmen würde.

Wie Sie bemerkt haben dürften, argumentiere ich zugunsten meiner Religion, der Literatur. Ich argumentiere, um Sie zu missionieren. Was hat die Literatur nicht alles zu bieten: Sie macht Leben und Tod verständlicher. Sie fordert weder Frömmigkeit noch Dankbarkeit, auch keine buchstabentreue Exegese. Sie verlangt nur eine Übereinkunft: dass der Leser sein Misstrauen aufgibt.

Wir nähern uns dem Text in guter Absicht, in Gläubigkeit, ja in Leichtgläubigkeit. Vor dem aufgeschlagenen Buch stehen wir mit der Naivität und der Ernsthaftigkeit eines Kindes: Ich bin bereit an dich zu glauben, du darfst mich nur nicht hereinlegen. Überzeuge mich davon, dass Odysseus Schiffbruch erleidet. Überzeuge mich, dass der alte Mann einen riesigen Fisch gefangen hat, dass ein Mensch sich in einen Käfer verwandeln kann, dass Madame Bovary sich langweilt.

Wer sich mit dem Glauben an die Literatur befasst, macht sich unweigerlich die Hände schmutzig. So erging es auch mir, bei meinem Roman „Gottes Frau“, der von der Koexistenz Gottes mit seiner sterblichen Gefährtin erzählt.

Wenn ich etwas nicht weiß, dann stelle ich es mir vor: In diesem Roman habe ich einen Gott erschaffen, der die Literatur hasst, und ihm eine Gefährtin zur Seite gegeben, die nur dafür lebt zu lesen. Ich habe mir vorgestellt, wie sich die beiden platonisch verlieben, streiten, sich versöhnen und am Ende eine große Reise in die Welt unternehmen, bevor sie wieder in ihr Universum zurückkehren. Inspiriert haben mich dazu die Kommentatoren der Texte der Kirchenväter und die Lektüre anderer Bücher. Schriftsteller schreiben, um ein Gespräch mit anderen, bereits geschriebenen Büchern zu führen. Dabei geschieht etwas Eigenartiges: Wenn man genügend Geduld und Glück hat, dringen die ursprünglichen Fragen so tief in den Text ein, dass man sie schließlich fast nicht mehr erkennen kann.

Ich wollte einen Gott erschaffen, an den ich endlich glauben konnte. Einen rätselhaften und gefährlichen Gott, in den ich mich wie meine Heldin verlieben könnte.

In der Literatur gibt es eine Koexistenz von sich offenbarender Wahrheit und Vernunft, da der Schriftsteller offenbart und offenbart wird. Ein komplexes Glaubenssystem, in dem der Schöpfergott selbst der leidenschaftlichste Gläubige seiner Schöpfung ist. Er beweihräuchert den Text, meditiert schweigend davor oder geht – wie die amerikanische Autorin Mary Carr – sogar so weit zu beten, bevor er schreibt. Der Schriftsteller, ob er nun betet oder das Beten belächelt, kehrt Schillers „Ode an die Freude“ um. Statt zu fragen: „Ahnest du den Schöpfer, Welt“ fragt er: „Ahnest du, Schöpfer, deine Welt?“

Simone Weil, die den Terminus „décreation“ prägte, begegnete der Welt und Gott wie zwei Liebhabern. Sie zog sich großherzig zurück, um ihnen zu erlauben, sich zu nähern. „Gott“, schrieb sie, „kann an uns nur die Einwilligung lieben, uns zurückzuziehen und so den Weg für ihn frei zu machen.“ Der Liebende weigert sich, sich zurückzuziehen. Ich lasse Gottes Frau allabendlich im Wald auf ihren Mann warten: „Ich lebte nur für die Zeit, zu der er erschien, kurz vor dem Dunkelwerden. Um mich nicht zu erschrecken, kam er gemessenen Schrittes auf mich zu, wie ein Lichtpunkt, der ständig größer wird. Ich dachte: Doch, ja, ich umarme ihn auch so, das bedeutet Liebe, zu nehmen, was man dir gibt, wenn man es dir gibt. Ich lernte, ihn zu lieben, wie ich eine Schnecke geliebt hätte, die sich in ihr Haus verkrochen hat, ich lernte mich mit der leeren Umarmung zu begnügen, mit der luftigen Brust, die mich nur mühsam halten konnte, wenn ich mich ihm entgegenwarf.“

Gelangt die liebende Frau, für die der Glaube der Grund ihrer Existenz ist, zur Theosis, dem Eingehen der menschlichen Natur in Gott? Und wenn ja, ist dann die Theosis ein Ergebnis von Wahnsinn, Ziel oder Zweckdienlichkeit?

Zweckdienlichkeit: Da kommen einem der Missbrauch der Wörter „Glauben“ und „Vertrauen“ durch die Märkte in den Sinn. Und all das, was man während der griechischen Krise in Europa gehört hat. Die Statistik wäre nicht uninteressant: Wie oft hat man zum Beispiel in Griechenland und Deutschland zur Zeit des größten Misstrauens zwischen den Ländern das Wort „Vertrauen“ gehört?

Während der Krise fiel oft das Wort „Opfer“. Die Griechen müssten hart besteuert werden, sie müssten bezahlen, Opfer bringen. Protestantisches Vokabular wurde mobilisiert, um das Thema des Eigenopfers im skandalösen, egomanischen, sündigen Süden zu diskutieren. Ich musste an das Opfer der Kinder zur Abwendung der Befleckung in der griechischen Antike oder in der Bibel denken. Iphigenie, Isaak. Auch die Griechen sind Kinder – leichtsinnige Kinder, die unter der Mittelmeersonne gespielt haben, ohne ans Morgen zu denken. In Berlin fühlte ich oft den herabwürdigenden Blick des emblematischen Vaters von Sylvia Plath auf mir ruhen. „Herr God, Herr Lucifer/ Beware/ Beware.“ Eines strengen, richtenden Vaters, der notfalls seine Kinder opfert.

Der Glaube an die Narration ist das verblüffendste Beispiel für die kindliche Essenz der Menschheit. Unsere Berufung auf eine Geschichte, die nie geschehen ist, und unsere Fähigkeit, mit Geschöpfen zu leiden, die nicht gelebt haben, sind der schlagende Beweis für unsere Bereitschaft, das Ich zu verlassen und dem Anderen zu begegnen. „Es gibt einen Anderen“, sagt Lacan: Dies ist per definitionem die Poetik des Vertrauens zwischen zwei Lügnern, dem Autor und seinem Leser. Wie sagt der Priester-Erzähler der Marilynne Robinson in „Gilead“: „Man hat das Gefühl, man sei mit jemandem zusammen.“

Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand

Amanda Michalopoulou, Jahrgang 1966, lebt als Schriftstellerin in Athen. Sie schrieb bislnag sieben Romane, darunter „Oktopusgarten“, Erzählungen & Kinderbücher. Sie ist Gast beim Literaturfestival. Ihren auf Griechisch erschienenen Roman über Gottes Ehefrau stellt sie heute, 17. 9., vor: Haus der Berliner Festspiele (21 Uhr). Sprecherin ist Hanna Schygulla. Zum Schwerpunkt „Kulturen des Vertrauens“ hält sie am Donnerstag einen Vortrag, auf dem dieser Essay basiert (16.30 Uhr).

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