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Klangfärbler. Emiliana Torrini und Kobe Proesmans (l.) und Aarich Jespers vom Colorist Orchestra.

© Rough Trade

Neues Album von Emiliana Torrini: Die Hochseilartistin

Großer Kammerpop: Emiliana Torrini beweist mit ihrem Orchester-Album, dass sie eine herausragende Sängerin ist.

Ein rasender Rhythmus von Snaredrum und Bass, ein paar Handclaps und E-Gitarrenakkorde, vor allem aber der zungenbrecherische Lautgesang „rakatung-tung- rakatung-on-buru-bumm-bummbumm“. Mehr brauchte es nicht, um Emiliana Torrini 2009 zum Star zu machen. Ihr Song „Jungle Drum“ handelt vom galoppierenden Herzschlag einer Verliebten, der zur Dschungeltrommel wird.

Er lief in der Finalfolge der Castingshow „Germany’s Next Top Model“, wurde von vielen Radiostationen gespielt und eroberte in Deutschland, Österreich und der Schweiz den ersten Platz der Singlecharts. Ein Stück perfekten, pulsierenden Pops. Wer Torrini nach ihrem Sommerhit allerdings für eine Saisonerscheinung, ein von Produzenten gesteuertes One-Hit-Wunder hielt, lag falsch. Sie ist eine autonome Künstlerin, den Weg nach oben hat sie sich hart erarbeitet.

„Jungle Drum“ ist jetzt wieder zu hören, diesmal ganz anders. Aus scharrenden, schnarrenden und säuselnden Geräuschen schält sich ein rasender Stehbass- und Trommelbeat heraus, und Torrinis strahlende Stimme triumphiert: „Hey, I can’t stop my feet / Ebony and ivory are dancing in the street.“ Pure Euphorie. Dass Ebony und Ivory, die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers, aus Liebesübermut auf der Straße tanzen, ist hier wörtlich zu verstehen, denn die neue Version ihres Hits hat die Sängerin in einer jazzigen Akustikversion mit dem Colorist Orchestra in Belgien aufgenommen. Ihr zehntes Album, das neun umarrangierte Klassiker und zwei neue Songs enthält, ist ihr bislang bestes.

Sie ist die Tochter einer Isländerin und eines Italieners

Emilíana Torrini Davíðsdóttir, die 1977 als Tochter einer Isländerin und eines Italieners geboren wurde und in der zweitgrößten isländischen Stadt Kopavogur aufwuchs, sang seit ihrem siebten Lebensjahr in einem Chor und ließ sich an einer Opernschule ausbilden. „Wenn ich daran denke, keine Musik zu machen, wäre das, als ob ich tot sei. Ich wäre nur ein Zombie“, hat sie in einem Interview gesagt. Musik ist ihre Art, mit dem Leben fertigzuwerden. Selbst den Unfalltod ihres Freundes hat sie in dem Album „Fisherman’s Woman“ verarbeitet, was sie als „heilsamen Prozess“ beschreibt.

Torrini gründete mit 15 ihre erste Band, sang beim Techno- und Houseprojekt GusGus, veröffentlichte 1994 ihr Debütalbum und erregte 1999 mit der TripHop-Platte „Love in the Time of Science“ erstmals Aufsehen, zumindest in Island. International bekannt wurde sie, als sie das Titelstück „Gollum’s Song“ für den Film „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ aufnahm und für Kylie Minogue den Dancehit „Slow“ schrieb, was ihr eine Grammy-Nominierung einbrachte.

Unausweichlich waren die Vergleiche mit Björk, dem zweiten weiblichen Popstar aus Island, den die Welt kennt. Eine Analogie, die Torrini allerdings stets zurückgewiesen hat. Zwar ähneln sich die Stimmen der beiden Sopranistinnen durchaus, auch die Art, wie sie ihr Englisch betonen, wirkt wesensverwandt. Doch von Björks Avantgardekonzept ist Torrinis melodischer, zwischen Überwältigung und Melancholie pendelnder Electropop Lichtjahre entfernt.

Die Anti-Björk ist eine tolle Songwriterin

Dass die Anti-Björk eine herausragende Songwriterin ist, war bekannt. Was für eine großartige Sängerin sie ist, beweist nun das neue Album, bei dem ihre Stimme von Streichern getragen und von Electrobeats angetrieben wird und durch akustische und elektronische Arrangements balanciert. Es geht tatsächlich darum, wie der Projektname The Colorist sagt, Torrinis Songs umzufärben, neue Klangfarben in ihnen zu entdecken.

Die Initiative dazu ging von den Colorist-Gründern Kobe Proesmans und Aarich Jespers aus, die ersten Gespräche wurden per Webcam geführt. Dann flog Torrini nach Antwerpen und nahm fünf Konzerte mit dem achtköpfigen Miniaturorchester auf. „Kobe und Aarich haben mich wieder stolz werden lassen auf meine Musik“, sagt sie.

Bei „Serenade“ geistert eine Xylofonmelodie durch alptraumartig hallende Synthiewolken, Torrini flüstert: „Midnight calling / Moonlight shadows start to dance.“ Mitternachtsspuk. Und beim ergreifenden „Today Has Been Okay“ vom „Fisherman’s Woman“-Album singt sie zu Trauergeigen : „Without you here the seasons pass me by.“ Langsam lässt der Schmerz nach, wenn die Tage wieder erträglich werden. Großer Kammerpop.

The Colorist & Emilíana Torrini ist bei Rough Trade erschienen.

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