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Kultur: Die Insel der Unseligen

Gut und Böse, alles trägt Frack: Krzysztof Warlikowski bringt seine Version von Shakespeares „Sturm“ nach Berlin

Der Sturm klingt verdächtig vertraut: Es ist das Brummen der Motoren vor dem Start. Keine knatternde Takelage, keine reißenden Segel: Der Mann von Welt reist per Flugzeug, und der Absturz der Maschine ist die größtmögliche Verkehrskatastrophe. Der übliche Weg, auf einsamen Inseln zu landen, ist heutzutage, mit dem Flugzeug dort zu stranden. Nun sitzen sie da im Flugzeugsessel, vier Herren im Business-Dress: das Laptop noch auf dem Schoß, den Plastikbecher noch in der Hand. Auch die Konversation geht zunächst weiter as usual. Man übt sich in spitzfindigen Diskussionen und perfiden Machtspielchen, man macht sich gemeinsam herzlich lustig über den stotternden Gonzalo (Lech Lotocki), dann schläft man ein.

Keinen König von Neapel, keinen Herzog von Mailand gibt es in Krzysztof Warlikowskis „Sturm“, auch keinen gütigen Prospero und keinen edlen Luftgeist Ariel. Gut und Böse, Wild und Zivilisiert gehen im Polen von heute offenbar in eins, und alles trägt Frack: Broker, Mafiosi und Unterwelt sprechen eine Sprache und verstehen sich bestens. Auch die einsame Insel ist nicht mehr, was sie mal war: ein raffiniert verspiegeltes Gerüst, das mit einer klassizistischen Fassade abschließt. Hier ist der Holzklotz, mit dem Ferdinand sich abmüht, nur Zitat. Und Ariel und Caliban sind Schwestern im Geiste, die eine (Magdalena Cielecka) mit rotem Pumuckel-Kopf, die andere (Renate Jett) mit tätowierter Glatze. Beide leiden sie an der gleichen Krankheit: an fehlgeleiteter Liebe. Ob Ariel Prospero einen Kuss auf den Mund drückt oder Caliban Stefano die Füße küsst: Unterwerfungsgesten sind es beide, und die Macht, die sie beherrscht, ist männlich.

Verkörpert wird sie vor allem von Prospero. Adam Ferency ist ein müder Mafioso, der mit gefährlich leiser Stimme seine Entourage herumkommandiert: „Schlaf ein“, „wach auf“, „mach dies“, „lass das“. Egal, ob im Picasso-Pullover oder später elegant im Smoking: Er beherrscht die Szene mit müdem Charme und sitzt mit der lauernden Wachsamkeit eines Politkommissars am Tisch. Auch Ferdinand (Redbad Klynstra) hat die Unschuld längst verloren. Ohne viel Federlesens geht er Miranda an die Wäsche: Ihre Unschuld führt bei ihm nur zu einem Grinsen. Denn Malgorzata Hajewska-Krzysztofik als Miranda ist unschuldig geblieben – allerdings auch unglücklich. Wie ein gescholtenes Kind schreckt sie vor jeder Berührung zurück, kuscht vor ihrem Vater, begehrt nur zögerlich auf. Wie sie, ungelenk und plump, in einer starken Szene eine Sprache für die Liebe findet, erinnert an Jodie Foster als „Nell“ – und endet viel zu schnell in einer konventionellen Ehezeremonie. Die Unterwerfung geht weiter.

Die Fabel von Macht und ihrer Korruption, von Freiheitsdrang und Unterdrückung lässt sich bestens aktualisieren, das beweist die „Sturm“-Adaption des Warschauer Teatr Rozmaitosci, die im Berliner Hebbel-Theater Station macht. Krzysztof Warlikowski gilt als Polens Regiestar, tourt seit längerem über die Festivals und ist auch in Berlin durch seine Version von Sarah Kanes „Gesäubert“ im vergangenen Jahr bestens eingeführt. Für den „Sturm“ braucht er viel Trockennebel, Scheinwerfer und orgelnde Musik: Sehr handfest ist die Lesart, in der weder ein Seitenhieb auf das Abendmahl noch der obligatorische Hitlergruß fehlen. Die Schlussfolgerung, die er aus seiner Diagnose einer korrumpierten Gesellschaft zieht, ist allerdings bedenklich: Drei alte Damen in Tracht treten auf, bringen Brot, Salz und Wodka und wünschen dem Paar alles Gute. Schöne Tradition. Allein: Es gibt kein Zurück auf die Insel der Seligen.

Noch einmal heute, 20 Uhr .

Christina Tilmann

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