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Denken. Klar und dunkel. Der südafrikanische Nobelpreisträger J.M. Coetzee, 1940 in Kapstadt geboren, ist ein Meister darin.

© Phillip MATSAS/Opale/Leemage/laif

„Ein Haus in Spanien“ von J.M. Coetzee: Die Insel, die Angst, die Hoffnung

„Ein Haus in Spanien“ versammelt drei Texte des südafrikanischen Nobelpreisträgers J.M. Coetzee. Ein literarischer Hochgenuss.

Zwei autobiografisch inspirierte Erzählungen enthält dieser schmale Band, die dritte trug Coetzee in Stockholm vor, als er den Nobelpreis erhielt. Sanft und gemessen entwirft er darin ein Panorama von Katastrophen und Scheußlichkeiten, beispielsweise das einst in Halifax aufgestellte Fallbeil und die wahnwitzigen Regeln seines Gebrauchs. Wer ließ das zu? God or his man? Wer erzählte davon, zu welchem Zweck? Und warum interessiert sich ein Autor des 21. Jahrhunderts dafür?

Die Geschichte heißt „Er und sein Mann“, was im aktuellen deutschen Kontext eher erotische Konnotationen weckt. Im Englischen hat „He and His Man“ jedoch den Beiklang „Master and Servant“. Gemeint sind Robinson Crusoe („Er“) und „sein Mann“ Daniel Defoe. Der Schriftsteller erscheint hier nicht als Meister, sondern als Diener der Figur, was das übliche Verhältnis umkehrt.

Wie gehen die beiden miteinander um? Im strengeren Sinne: überhaupt nicht. Defoe, der umtriebige Journalist, lebt in London, während der in die Heimat zurückgekehrte, alt gewordene Robinson in Bristol am Kai entlangspaziert und aufs Meer schaut. Abends jedoch greift er zur Feder, obwohl die Worte nur schwer aufs Papier finden. Und indem dies erzählt wird, ist natürlich auch „I, the person I call I, not he“ präsent, Coetzee als Erzähler, der sich seit Kindertagen für die Robinson-Figur interessiert hat und dessen Romane so oft und ausdauernd um ein „Er“ kreisen.

„Er und sein Mann“ ist eine komplexe, hinreißende Erzählung

Crusoe, Defoe und Coetzee sind sich so nah wie fern. Indem sie übereinander schreiben und lesen, erkennen sie die eigene Individualität und die ihrer counterparts, sie grenzen sich voneinander ab, aber tauschen auch die Rollen in einem ständigen Hin und Her. Defoe sammelt Sensationen und Denkwürdigkeiten, deren Bedeutung Robinson zu entschlüsseln versucht, indem er sie auf sein Leben bezieht, auf die Insel, die Verlassenheit, die Angst und die Hoffnung. Dann wieder denkt er Defoes Berichte weiter, entwirft neue Figuren und beauftragt „seinen Mann“, von ihnen zu erzählen. Aus einer Distanz von 300 Jahren richtet Coetzee den lektüregeschärften Blick auf die beiden, stellt sie ins Licht eigener Wörter und sich selbst dazu. Keine übliche Nobelpreisrede also, keine Analyse guter Absichten, keine Künstlerpredigt, sondern eine komplexe, hinreißende Erzählung. Nachgedacht wird darin auf literarische Art, und das heißt: klar und dunkel.

Defoe berichtet von Lockenten, die, mit Hilfe „einer Art Sprache“, Enten aus anderen Ländern in die Netze britischer Entenfänger locken. So wie in Kafkas „Kleiner Fabel“ die Mauern immer höher werden, der Weg immer enger, zwingen die ausgespannten Netze die Enten ans Ufer, wo der tötende Mensch sie erwartet. Und nicht allein Tiere tötet er, sondern legt andere Menschen unter das Fallbeil, wie in Halifax.

Coetzees Welt ist nicht heiter, aber sein Sinn für Komik ausgeprägt

Oft jedoch zeigt er sich hilfsbereit und riskiert sein Leben für die Rettung der Mitmenschen, beim Großen Brand von London oder als die Pest wütet. Unermüdlich schreibt Defoe nieder, was er von den „Schauspielen des Todes“ und denen der Liebe erfährt, während Robinson in seinem Zimmer sitzt, neben sich den Papagei auf der Stange, und seufzend zugibt, dass „sein Mann“ anscheinend mühelos jene Bezeichnungen und Metaphern findet, die ihm selbst nicht einfallen wollen. Coetzees Welt ist nicht heiter, aber sein Sinn für die Komik menschlicher Bemühungen ausgeprägt. Robinson, Defoe und er rackern sich ab, um auf rissigem Seil den Vergeblichkeitsabgrund zu überwinden. Warum tun sie, was sie tun? Keiner der drei beantwortet diese Frage, keiner hat eine Botschaft. Vor der Geschwätzigkeit seiner Nachbarn ist Robinson an den Schreibtisch geflohen. Defoe verdient schreibend seinen Lebensunterhalt. Coetzee, der Nachgeborene, skizziert ein paar Bilder aus ihrem Leben, das in gewisser Weise dem eigenen ähnelt.

Im Frack steht er am Stockholmer Rednerpult und spricht: wunderbares Englisch, purer Wohllaut, seltsames Ritual. Dies und die Erzählungen, die die Rede begleiten, treffend übersetzt in einem schön gestalteten Buch nachzulesen, ist ein großer Genuss.

J.M. Coetzee: Ein Haus in Spanien. Drei Geschichten. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2017. 60 Seiten, 12 €.

Gisela Trahms

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