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Kultur: Die Inspirationen des Alkohols

LITERATUR

Das Leben von Jurus verläuft in festen Bahnen. Er säuft bis zur Bewusstlosigkeit, wacht in der Ausnüchterungsstation wieder auf, unterzieht sich einer Entgiftungskur und erholt sich anschließend in seiner Lieblingskneipe „Zum starken Engel“. Hätte sich Jerzy Pilch auf diesen Kreislauf beschränkt, vielleicht wäre sein Roman Zum Starken Engel (Aus dem Polnischen von Albrecht Lempp, Luchterhand Literaturverlag 290 S., 20 €) ein schöner Trinkerroman geworden. Doch Pilch wollte mehr. Also stattete er seine Figur mit einer zweiten Leidenschaft aus, dem Schreiben. Auf der Delirantenstation verfasst er für die übrigen Insassen jene Gefühlstagebücher genannten Selbsterkundungen, mit denen die „Therapeutissen-Mösen“ das Verhalten der Süchtigen zu verändern hoffen. Aus ihnen besteht ein Gutteil des Romans.

Gottfried Kellers Auffassung, „eine Pulle Wein sei mehr wert als die ganze Dichterei“, dürfte Jurus wohlvertraut sein. Anders als Keller kennt er aber noch eine dritte Attraktion: die Frauen. Seine Geliebten nennt er zärtlich „Angestellte meiner privaten Entgiftungsstationen“. Pilch, Kolumnist der Zeitschrift „Polityka“, legte vor einigen Jahren mit „Andere Lüste“ einen sehr komischen Roman über eine protestantische Enklave in Polen vor. Doch diesmal hat Pilch mehr Phantasie auf die Namen seiner wunderlichen Gemeinschaft als auf deren Geschichten verwandt. So vielversprechend Simon die Güte Selbst, Don Juan Ziobro, Christoph Kolumbus der Entdecker, der Held Sozialistischer Arbeit oder der Meistgesuchte Terrorist der Welt klingen, so belanglos und trivial sind ihre in den Gefühlstagebüchern von Jurus ausgeschmückten Geschichten. Keine Person erlangt in ihnen Profil.

Jörg Plath

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