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Kultur: Die kalte Nacht von Buenos Aires

Eigentlich passiert es nur in feuchten Männerfantasien, dass es regennasse Mädchen auf Autorücksitzbänke schneit. Vorne säße dann vielleicht ein Taxifahrer mittleren Alters, auf jeden Fall ein melancholisch einsamer Held.

Eigentlich passiert es nur in feuchten Männerfantasien, dass es regennasse Mädchen auf Autorücksitzbänke schneit. Vorne säße dann vielleicht ein Taxifahrer mittleren Alters, auf jeden Fall ein melancholisch einsamer Held. Hinten bebt fröstelndes Fleisch, Hingabe und Ohnmacht.

Irgendwo in Buenos Aires ist das, an einer nächtlichen Straßenecke. Und es ist auf den ersten Blick merkwürdig, dass sich kein Macho das für uns ausgedacht hat, sondern eine Frau: die argentinische Regisseurin Gabriela David.

Natürlich ändert das nicht alles. Aber bei bestimmten Dingen fällt dann doch etwas auf, was ein bisschen aus dem Rahmen fällt - zum Beispiel, dass sich mitten im Film die Erzählperspektive ändert. Von ihm zu ihr. Dass aus Erotik Angst wird. Und dass weibliche Erotik und männliche Ohnmacht einen zwingenden Zusammenhang ergeben.

Immerhin hat Laura eine Kugel im Körper. Und Esteban gibt zwar gerne für ein paar Stündchen den Taxifahrer, doch das Auto hat er gestohlen, morgen früh wird es beim Hehler zum Umspritzen abgeliefert. Er ist also ein kleiner Ganove, also eher ein Mensch wie du und ich. Der zwar öfter kleinere Grenzsituationen erlebt hat und schon mal ins Zittern kommen kann, aber nicht immer so wie jetzt. Ins Krankenhaus bringen kann er die Verletzte nicht. Aber sich um sie kümmern, dazu ist er auch nicht in der Lage. Also nimmt er sie erst mit nach Hause und liefert sie dann vor der Klinik ab, anonym. Aber irgendwann, es ist unvermeidlich, steht Laura vor seiner Wohnungstür.

Ein Überlebenskämpfer, der selbst zum Lebensretter wird. Eine Frau, die ein Geheimnis mit sich herumträgt und entschlossen die Wahrheit sucht: Ist "Taxi" die argentinische Variante von Tykwers "Der Krieger und die Kaiserin"? Eine Parallel-Version nicht, ein Gegenstück schon. Denn das Spielfilmdebüt der 1960 geborenen Hochschullehrerin und langjährigen Fernsehmitarbeiterin Gabriela Davis ist zwar mit viel Sinn für Effekte fotografiert und inszeniert, kommt aber trotzdem vielschichtig und unaufgeregt daher.

Das Schönste ist die schwebende Leichtigkeit, mit der Davis die Dinge auf den Weg bringt, ohne dabei das Schicksal bemühen zu müssen. Und mit der sie Nähewünsche formuliert, ohne sich an den Liebesbegriff zu verlieren. So gewinnt ihr Film an gesellschaftlicher Präzision: Wie viele Verletzungen braucht es, um Menschen zueinander zu bringen?

Es gibt ein schönes Bild, das diesen Film charakterisiert: Ausgerechnet ein gigantisches Verkehrskreuz ist es, das Laura die Behausung des Taxifahrers wiederfinden lässt. Ein Ausblick wie das Gemälde, das an der Wand der schäbigen Hütte hängt: Autobahn statt Alpensee. Ein Großstadt-Zimmer mit Aussicht.

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