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Saburo Teshigawara und Rihoko Sato (links) in Teshigawaras „Petruchka“-Inszenierung.

© Andrea Avezzù

Tanz-Biennale in Venedig: Die Katze auf dem heißen Catwalk

Nicht nur die Bildende Kunst, auch der Tanz wird gefeiert bei der Biennale in Venedig. Saburo Teshigawara wird mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Von Sandra Luzina

„Boundary-less“, grenzenlos, lautet das Motto die diesjährigen Tanz-Biennale in Venedig. Darin drückt sich auch eine gewisse Post-Covid-Euphorie aus. Wayne McGregor, der schon das zweite Jahr als künstlerischer Leiter das Programm zusammengestellt hat, meint damit aber vor allem die Künstler:innen, die die Genre-Grenzen überschreiten.

Auf spektakuläre Weise kann das Publikum die Grenzenlosigkeit in der immersiven Installation „Le Bal de Paris“ von Blanca Li erfahren. Die spanische Choreografin verbindet auf innovative Weise Tanz und Virtual Reality. Ihr Projekt wurde im letzten Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Goldenen Löwen für die „Beste VR-Erfahrung“ ausgezeichnet. Wayne McGregor holt „Le Bal de Paris“ jetzt zurück nach Venedig. Die Zuschauer:innen in der Säulenhalle der Ca' Guistinian setzen sich eine VR-Brille auf und müssen zudem noch einen acht Kilogramm schweren Rucksack mit technologischem Equipment schultern.

Zunächst suchen sie sich ein passendes Kostüm für ihren Avatar aus – die edlen Roben wurden von Chanel entworfen. Und dann – obwohl man physisch doch in Venedig verortet ist – befindet man sich plötzlich auf einem rauschenden Ball in Paris, gleitet mit einem Boot durch eine Fantasielandschaft mit riesigen Seerosen und hybriden Wesen, die ein Wasserballett aufführen. Am Ende wird im Etablissement „Chez Mimi“ ein ausgelassener Cancan getanzt. Blanca Li wollte, dass das Publikum nicht wie ein Geist durch virtuelle Welten schwebt, sondern auch eine körperliche Erfahrung macht – und Teil der Show wird.

"Maggie The Cat" ist ein pures Vergnügen

Neben hunderten von virtuellen Tänzern mischen auch einige reale Performer mit, sie berühren den Zuschauer schon mal und animieren ihn mitzutanzen. „Le Bal de Paris“ ist eine Extragavanza, wie geschaffen für das Instagram- Zeitalter. Auch wenn hier avancierte Technologien mit konventionellen Narrativen verknüpft werden, ist es eine überwältigende Erfahrung.

Fast wie ein Gegenentwurf mutet dann „Maggie The Cat“ von Trajal Harrell. Blanca Li schwelgt in Opulenz und Luxus, der New Yorker Choreograf dagegen setzt auf Camp statt glamouröse Looks. Zu „Maggie The Cat“ hat ihn zwar das Südstaaten-Drama „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams" angeregt, doch Harrell kommt vor allem die Verbindung von Maggie, der Katze, und dem „Catwalk“ gelegen.

Die zehn Performer:innen schreiten wie blasierte Models über die Bühne, sie tragen dabei aber keine Haute Couture, sondern wickeln sich Bettlaken und Handtücher um Kopf und Körper oder polstern sich mit roten Sofakissen auf. Es ist die Dienerschaft der Plantage, die sich hier in eine glanzvolle Welt hineinfantasiert. Alle sind sind hier Maggie, die heiße Katze. Harrell, der selbst als Big Mama im Blümchenkleid auftritt, erledigt eher beiläufig rassistische Stereotypen und Gender-Klischees. „Maggie The Cat“ ist sicherlich eines seiner humorvollsten Stücke, und das diverse Ensemble macht daraus ein lustvoll-subversives Spektakel. Trajal Harrell ist in diesem Sommer auf vielen europäischen Festivals vertreten: Im August kommt er nach Berlin mit „The Köln Concert“.

Teshigawaras Tanzsprache ist unverwechselbar

Diego Tortelli hat eine Ausschreibung für eine neue italienische Choreografie gewonnen. In „Fo:No“ untersucht er die Beziehung zwischen Stimme, Körper und Identität. Ausgehend von der Geschichte seines Vaters, der mehrfach an den Stimmbändern operiert wurde, hat Tortelli eine abstrakte Choreografie entworfen. Den Verlust der Stimme und das Ringen um Worte in körperlichen Ausdruck zu übersetzen, gelingt aber nur bedingt.

Mit dem Goldenen Löwen für das Lebenswerk wurde in diesem Jahr Saburo Teshigawara ausgezeichnet. Der 68-jährige Japaner ist ein Ausnahmekünstler und ein Avantgardist: Der Choreograf, Tänzer, Maler, Bildhauer und Designer wird seit den 1980ern auch in Europa enthusiastisch gefeiert. Er habe eine unverwechselbare Tanzsprache entwickelt und kreiere mit seinen Performances künstlerische Ökosysteme, sagt Wayne McGregor bei der Preisverleihung. Teshigawara ist der erste asiatische Künstler, der bei der Biennale Danza mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Die Zeit, in der nur weiße Europäer oder Amerikaner den Preis erhielten, ist endgültig passé.

Die Company Marrugeku wird den Berliner "Tanz im August" eröffnen

Im Teatro Malibran zeigte Teshigawara seine „Petruschka“-Neuinterpretation. Mit zappelnden Gliedern verkörpert er die Puppe, die zum Leben erwacht. Er konzentriert sich ganz auf das Drama der unglücklichen Marionette und verleiht ihr eine tiefe Traurigkeit. Seine Tanzpartnerin Rihoko Sato hat einen kurzen Auftritt als Ballerina, die problematische Figur des „Mohren“ wurde eliminiert. Am Ende schält Teshigawara sich die Latexmaske vom Gesicht und öffnet den Mund zu einem stummen Schrei.

Mit dem Silbernen Löwen wurde die spanische Choreografin und Tänzerin Rocio Molina, die die Tradition des Flamenco auf furiose Weise mit zeitgenössischen Tanz kombiniert. Wayne McGregor hat kluge und wegweisende Entscheidungen getroffen, die auf eine neue Offenheit verweisen. Der schlaksige Brite mit seinen schwarzen Outfits mutet in Venedig ein bisschen wie ein Alien an. Doch er ist ein Glücksgriff für die Biennale – und hat dem Festival neue Impulse verliehen.

Das Motto „grenzenlos“ passt auch gut zu der interkulturellen Company Marrugeku aus Australien, die die Biennale Danza beschließt. Am 5. August wird Marrugeku dann den „Tanz im August“ in Berlin eröffnen.

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