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Kultur: Die Keulenschwinger

Die Debatte um Martin Walsers Friedenspreisrede reißt nicht ab.Im "Spiegel" gossen Rudolf Augstein und Ignatz Bubis Anfang der Woche neues Öl ins Feuer.

Die Debatte um Martin Walsers Friedenspreisrede reißt nicht ab.Im "Spiegel" gossen Rudolf Augstein und Ignatz Bubis Anfang der Woche neues Öl ins Feuer.Augstein, indem er das internationale Judentum zu einer Art moralischer Über-Besatzungsmacht erklärte und so den Argwohn nährte, es drohe ein neuer bürgerlicher Antisemitismus.Bubis, indem er in seinen Nationalismusverdacht gegen deutsche Intellektuelle nun auch noch Hans Magnus Enzensberger einbezog, obwohl der sich in der gegenwärtigen Diskussion gar nicht geäußert hat.

Im allgemeinen Debattenfieber wurde bislang allerdings übersehen, daß Walsers Bekenntnis zum Überdruß am Anblick des Schreckens nur die Variation eines bei deutschen Intellektuellen seit Jahren beliebten Themas ist.Nach der Wende erfand Günter Gaus für alle, die sich wegen ihrer Ignoranz gegenüber dem DDR-Unrecht nicht schuldig fühlen wollten, ein kommodes Menschenrecht auf Feigheit.Und vor drei Jahren fühlte sich Peter Handke von den Fernsehbildern der Opfer serbischer ethnischer Säuberungungen belästigt, weswegen er kurzerhand ihre Echtheit anzweifelte.So weit ging Walser nicht, als er sich über ein Bombardement mit KZ-Bildern aus der Nazizeit beschwerte.Aber aus seiner Klage über die mediale "Moralkeule" spricht die Sehnsucht nach der Nische für das unberührte Eigene, spricht der Affekt deutscher Innerlichkeit gegen den öffentlichen Meinungsmarkt, auf dem noch die edelsten Werte verramscht würden.

In Walsers Aufwertung des persönlichen Erinnerns gegenüber dem oberflächlichen kollektiven Gedächtnis erkennt man leicht die Unterscheidung wieder, die einst Martin Heidegger zwischen der "Eigentlichkeit" authentischen Daseins und dem öffentlichen "Man" mit seinem uneigentlichen "Gerede" getroffen hat.Solche Verinnerlichungsrhetorik gibt dem pikierten Wegsehen die Weihe einer tieferen Moralität.Als die Stasi-Aufarbeitung begann, hieß es, die kalte Aktensprache sage nichts über die komplexe Realität ganzheitlicher Menschenleben aus.Handke pries den Eigensinn, mit dem die Serben dem moralischen Erpressungsdruck westlicher Mediennetze widerstünden, und schwärmte von ihrer urwüchsigen Lebensart.Jetzt will sich Walser seine national-eigentümlichen Erinnerungen nicht von einer normierten Öffentlichkeit verderben lassen.Hinter seinem Affekt gegen gegen das ritualisierte Gedenken steckt der alte zivilisationskritische Glaube, das unantastbare Innere sei der Hort wahrer Empfindungen, deren Entäußerung im gesellschaftlichen Raum aber führe zur Verflachung ihrer moralischen Substanz.Seltsam, Walser von einer prominenten, dissidenten Ex-DDR-Autorin verteidigt zu sehen, die gegenüber quietistischen Ausflüchten aus der Verantwortung hellhörig sein müßte.Paßt Walsers Haltung doch gut in die Schlußstrichstimmung, die sich derzeit über ostdeutschen Vergangenheitsabgründen ausbreitet.

Der Streit um Walser trägt Züge einer Ersatzdiskussion.Wer immer nur über die Plage der Deutschen mit den Gespenstern ihrer Geschichte sinniert, kann beredt über akute Probleme der Gegenwart hinweggehen: über die rassistische Gewalt in Ostdeutschland, über die zunehmenden Massaker um uns herum, von Algerien bis Kosovo, und über Notwendigkeit und Grenzen deutscher Beteiligung an militärischen Einsätzen gegen diese Bedrohungen.Das sind in der Tat "normale" Probleme einer westlichen Demokratie, aber gerade deshalb sind sie umso ungemütlicher.Über die Formen des Holocaust-Gedenkens zu debattieren, ist weit weniger riskant.Denn die Erinnerung an Auschwitz wird den Deutschen nicht abhanden kommen, auch nicht durch die anachronistischen Reden von Ex-Linken, die nach einem langen Leben im Dagegensein nun endlich ungetrübte nationale Werte genießen wollen.Jahrzehntelang hatten die alternden Linken die Mahnung an Auschwitz für die Legitimation ihrer utopistischen Ziele instrumentalisiert.Nachdem ihnen diese "Moralkeule" abhanden gekommen ist, versuchen sie jetzt, im nachgeholten Kampf gegen vermeintliche Moralkeulenschwinger ihre intellektuelle Wortführerschaft zurückzugewinnen.Wie wir den redundanten Schrecken der Massenverfolgung von einst und heute ins Auge sehen können, ohne abzustumpfen oder zu resignieren, ist eine offene Frage.Der neue deutsche Eigentlichkeitsdünkel, der gerne im Gestus des mutigen "Tabubruchs" auftritt, will aber gar keine Antworten darauf.Seine Sorge gilt der gestörten Ruhe im geistigen Krähwinkel.

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