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Kultur: Die Klugheit des Kriegers

Seine wichtigsten Werke gehören einer anderen Epoche an.Triumphe feierte der Kirgise zu Zeiten, als jede literarische Zeile politisches Gewicht besaß.

Seine wichtigsten Werke gehören einer anderen Epoche an.Triumphe feierte der Kirgise zu Zeiten, als jede literarische Zeile politisches Gewicht besaß.Geschickt verstand es Tschingis Aitmatow, sich nicht vom Sowjetregime vereinnahmen zu lassen.Auch wenn er bereits mit jungen Jahren den Lenin-Preis bekam und die Privilegien eines staatlich anerkannten Schriftstellers genoß, so hat er doch manchen Streit mit den Zensoren ausgefochten und dabei auch seinen Dickschädel durchgesetzt.Er fühlte sich nur seiner Wahrheit verpflichtet, und die unterschied sich durchaus von der offiziellen.Aitmatow hat nie geschwiegen, aber seine Worte bewußt gewählt.Sein Mut war der des klugen Kriegers, der auf die richtige Stunde warten kann.

Schon als Kind mußte er Härten ertragen, die andere gebrochen hätten.Mit sieben zog der in dem kirgisischen Dorf Scheker geborene Junge mit Mutter und Geschwistern nach Moskau.Dorthin hatte die Partei seinen jungen Vater, einen glühenden Propagandisten der neuen Ordnung, zur Weiterbildung geschickt.Im Moskauer Vielvölkergemisch entdeckte der Junge Musik, Kino und vor allem Literatur.Doch bereits 1937 schickte der Vater die Familie zurück, bevor Stalins Terrorwelle auch ihn erfaßte und er erschossen wurde.Die Familie überlebte unter erbärmlichen Verhältnissen.In seinen autobiographischen Erzählungen "Kindheit in Kirgisien" schildert Aitmatow die Entbehrungen der Kriegsjahre.

Kind sein durfte er nicht lange, denn bereits mit 14 wurde er zum Sekretär des Dorfsowjets ernannt, weil er lesen und schreiben konnte - damals keineswegs eine Selbstverständlichkeit bei den Schaf- und Pferdehirten.Seine Nachbarn fürchteten ihn als Todesengel, denn er überbrachte die Gefallenenmeldungen.Aitmatows Werk ist zutiefst von diesen Kindheitserfahrungen geprägt, von verzweifelten Fragen nach Gerechtigkeit und Mitgefühl.In seinen Romanen gibt es keine romantische Liebe, keine Leichtigkeit des Lebens.Sein berühmtestes Buch "Dshamila" berichtet von unbarmherziger Schicksalhaftigkeit: Eine im Dorf gebliebene Soldatenfrau verliebt sich in einen Kriegsverwundeten - eine unerlaubte, eine amoralische, eine zutiefst zärtliche, berührungslose, zum Scheitern verurteilte Liebe.

Die Romane spielen fast alle in der rauhen Gebirgswelt Kirgisiens, in der der Mensch nicht nur mit den Unbilden der Natur zu kämpfen hat, sondern auch mit den rätselhaften Entschlüssen wirklichkeitsferner Parteibürokraten.Aitmatows Charaktere begehren auf gegen die Dummheit ihrer Vorgesetzten.Haß und Gier, Geiz und Neid verzerren manches Antlitz zur Fratze.Doch Aitmatow gibt seinen Glauben an die Menschlichkeit nicht auf.Vielleicht liegt darin das Geheimnis seines Erfolges.

Wer die Bücher falsch liest, sieht in ihnen Abrechnungen mit den Auswüchsen eines bürokratisch erstarrten Sozialismus.Dann wären sie nur historische Episode.Doch Aitmatow stellte jenseits des Politischen grundsätzliche Fragen nach Moral, Ehre und Verantwortung.Das Sowjetreich ist untergegangen, doch seine Romane über den Umgang des Menschen mit dem Menschen werden überleben.

JOHANNES KAISER

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