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Kultur: Die Königin und der Eber

Die Stuttgarter Staatsoper gräbt ein vergessenes Werk des Mozart-Librettisten Lorenzo Da Ponte aus: „Una cosa rara“, elegant in Musik gesetzt von dem Spanier Martín y Soler

„Bravi! ,Cosa rara’!“ Es ist eine Tafelmusik vor dem Tod, die Leporello mit diesen Worten kommentiert. Sein Herr wird sterben, das ist programmiert, weil er den Steinernen Gast zum Nachtmahl geladen hat. Gebratener Fasan, in Riesenbissen verzehrt, dazu beliebte Opernmelodien: Dieses letzte Dinner bei Don Giovanni gehört zur Weltmusik.

Und mit ihr das Zitat, das Mozart aus dem ersten Finale eines heute praktisch vergessenen Werkes genommen hat: „Una cosa rara“ von dem Spanier Martín y Soler, 1786 ein paar Monate nach Mozarts „Figaro“ am Wiener Burgtheater uraufgeführt und erfolgreicher als alles, was Wien damals kannte. Ein Hit, der bis nach Amerika drang.

Martín und Mozart – was die Komponisten verbindet, ist der Dichter Lorenzo da Ponte, der in Wien quasi abwechselnd für beide je drei Textbücher verfertigte: Für Martín eben „Una cosa rara“, für Mozart die berühmte Trias „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „Così fan tutte“. In seinen Memoiren stöhnt der kongeniale Partner Mozarts, dessen „Bücheln“ heute jedem vertraut sind: „Ich, der Hofpoet Josephs II., der Verfasser von 36 Libretti! Im Alter von fast 90 Jahren habe ich in Amerika kein Brot mehr.“ Peter Turrini hat aus den Schwierigkeiten des alten Herrn, nicht mehr geliebt zu werden, ein Stück gemacht: „Da Ponte in Santa Fe“: Dort kennt man den Venezianer nicht, der aus einem jüdischen Getto in den Theaterhimmel aufgestiegen ist. Er vegetiert als Brandyverkäufer im Opernfoyer. Sein Name fehlt auf dem Plakat, während „Don Juan“ von Mozart gespielt wird. Umgekehrt lockt nun eine Oper von Lorenzo da Ponte das Publikum von nah und fern in die Staatsoper Stuttgart: „Una cosa rara“, „Ein selten Ding oder Schön und ehrenhaft“.

Die Neugier führt über den Librettisten zu dem Komponisten Martín, den die Zeitgenossen über Mozart gestellt haben. Wie das? Der Spanier schmeichelt. Er bevorzugt die Pastorale mit amoroso-Holzblasinstrumenten, Sechsachteltakt, parallelen Terzen, Cavatinen, Kanons in Terzetten, die der Laienmusiker zu Hause einüben konnte, indes nicht nur der Kaiser Mozarts Musik „viel zu schwierig zum Singen“ fand. Dieser liedhafte Stil siegte über das, was nur einem Häuflein Auserwählter zugänglich schien, bis die Rezeptionsgeschichte anders entschied. Der Dirigent Enrique Mazzola sucht mit dem Stuttgarter Staatsorchester und dem Staatsopernchor den Ton der Gefälligkeit lebendig zu halten, unterhaltsam geht es zu, ein paar Mal auch drunter und drüber. Keine hohe Kunst ist gefragt, sondern die Leichtigkeit des Seins. Lilla, ein Mädchen vom Land, „schön und ehrenhaft“, wird von vier Männern begehrt: Dem Bürgermeister, mit dem ihr Bruder Tita sie zwangsverheiraten will, damit er dessen Schwester Ghita als Gegengabe erhält, von dem Bauern Lubino, dem Prinzen Giovanni und von Corrado, dem Berater und Geliebten seiner Mutter, der Königin Isabella von Spanien. Ihre höfische Jagd dringt in die intrigante Provinz. Erleichtertes Raunen im Zuschauerraum, als die Übertitel verraten, was das gesungene Ensemble zusammenhält: „Bei solchen Verwirrungen des Hasses und der Liebe versteht man kaum, wie die Sache sich verhält.“

Jossi Wieler und sein Koregisseur und Dramaturg Sergio Morabito verlegen das dörfliche Ambiente, wo die Königin irdisches Glück vermutet, in die Betonwelt einer Vorstadt im 21. Jahrhundert (Bühne – mit Zwischenapplaus für das zweite Bild: Martin Zehetgruber). Wenn es hier, praktisch nach dem Happy End, zum Ehealltag geht, sind die Wohnungstüren drei Stockwerke hoch frisch gestrichen, die Bettwäsche hängt, die Paare sind eingezogen und streiten sich zwischen weißen Laken, blauen Müllsäcken, Bereitung von Schlagsahne mit elektrischem Rührgerät und Pizza-Konsum. Wielers Kunst besteht darin, dass zwischen filmischen, Krimi- und Comic-Elementen eine musische Zeitfühligkeit für das 18. Jahrhundert erhalten bleibt. Am Anfang kracht eine blutige Leiche aus der Höhe in eine Bodenpfütze: Isabella hat einen Eber erlegt. Und doch schimmert in dieser Chefin das Wesensteilchen einer Königin der Nacht. Lubino, Bariton wie Almaviva – im einstigen Burgtheaterensemble von demselben Sänger dargestellt –, teilt mit dem Grafen die Verliebtheit und die schäumende Wut: Da Ponte spricht, nicht zimperlich, von drohendem „Gemetzel“. Standesunterschiede schwinden in der Musik, bleiben aber angedeutet.

Gänzlich verwirrte junge Liebe wie Cherubino ist der Infant in seinem Andante amoroso, obwohl er grellfarbig herumläuft (Kostüme: Heide Kastler) wie ein kleiner, modisch angepasster Bürgerschreck. Die E-Gitarre in der Hand, tanzen die Mädchen ihre Seguidhilla, die Liebe wird vom Ernst musikalischer Lieblichkeit gekrönt. In der Verfremdung zeigt sich die Norm, etwa das klassische Modell des weiblichen Zankduetts (erweitert zum Terzett), einbezogen in eine Architekturbegehung. Das Ensemble mit den Sopranen Isabella (Karine Babajanian), Lilla (Catriona Smith) und Ghita (Gabriela Herrera), den Tenören Giovanni (Norman Shankle) und Corrado (Heinz Göhrig) sowie den tiefen Männerstimmen Lubino (Motti Kastón), Tita (José Fardilha) und dem gemütlich-mafiotischen Bürgermeister (Karl-Friedrich Dürr) steht auch schauspielerisch für gute Unterhaltung ein, bisweilen mit tieferer Bedeutung. Wie ein Pendel schwingt die Interpretation vermittelnd zwischen den Epochen. Was die Ausführenden angeht, ist dem Urteil Leporellos zuzustimmen: „Bravi!“

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