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Kultur: "Die Lady und der Herzog": Der blutige Winter der Revolution

Kann das gut gehen? Ein Film, der mit Bildern anfängt.

Kann das gut gehen? Ein Film, der mit Bildern anfängt. Mit Ölbildern. Ist das Kinobild nicht gewissermaßen die Überwindung des Ölbilds? Adlige Damen, man meint beinahe ihr Puder zu riechen. Schön - und so prärevolutionär genau. Aber Kino? Und dann beginnt so ein Bild - ein großer Platz in Paris - zu leben: Natürlich, auf Plätzen steht man nicht, man durchquert sie. Und auch die Zeit dieses Films will nicht stehen bleiben, sondern eilig Äonen durchqueren, die Welt auf den Kopf stellen. Robespierre hat dafür sogar den Revolutionskalender eingeführt. Ein üblicher Kalender wäre für einen Revolutionär auch eine handfeste Beleidigung.

Eric Rohmer, der Mann der Filmzyklen-Kalender, ist mit den Jahreszeiten fertig. Der "Sommer" (1996) war vielleicht seine schönste, zuletzt kam der "Herbst" (1998). Jetzt beginnt Rohmer mit der Geschichte - auch sie nur eine Abfolge von Welt-Jahreszeiten. Die Geschichts-Pessimisten meinen gar, es gäbe so wenig Fortschritt darin wie von einem Januar zum nächsten. Lauter blutige Winter.

In Frankreich hat Rohmer Ärger bekommen mit seinem Geschichtsfilm. Das liegt an der Perspektive. Wenn eine Welt auf den Kopf gestellt wird und sich das Auf-dem-Kopf-Stehen durchsetzt, tut man gut daran, diese Stellung als die einzig Legitime zu beschreiben. Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Klingt doch gut geerdet und gar nicht kopfüber. Eric Rohmer aber hat die neue Welt aus der Perspektive einer Lady beschrieben. Grundaussage: Die stehen ja alle verkehrtrum. Außerdem hatten Leute wie sie ein Problem, die neue Stellung des Menschen in der Welt einzunehmen. Denn als die Revolution fertig war, hatten sie gar keine Köpfe mehr, um auf ihnen zu stehen.

Robespierre konnte das noch gut begründen. Die Tugend, hat er gesagt, kann nur durch Terror durchgesetzt werden. Revolutionen sagen das immer. Und man kann mit dem Terror auch nicht einfach zwischendurch aufhören, denn wer eine soziale Revolution nur halb durchführt, das wusste Robesspierre, gräbt sich selbst sein Grab. Lenin sah das etwas später ungefähr genauso. Als das Grab Robespierres fertig war, hört Rohmers Film auf. Schluss der Jakobinerherrschaft. Ende des Terrors. Aber Robespierre tritt bei Rohmer nur ein einziges Mal auf. Er überprüft, welche Fortschritte die Revolutionsgerichtsbarkeit macht. Da sieht er Grace Elliot (Lucy Russell), die englische Adlige - und rettet sie vor der Guillotine. Wirkliche Allmacht ist auch die Macht zur Gnade, aber auch sie als Willkür.

Es gibt Geschichten, deren ganzer Reiz in ihrer Echtheit besteht. Erfunden wären sie beinahe wertlos. Rohmer hat eine Schwäche für das Echte. Das kommt bei großen Cineasten, also Menschen, die die Täuschung zum Beruf erklärt haben, öfter vor. Er las in einem historischen Magazin von den Memoiren der Grace Elliott - "Journal of My Life During the French Revolution" - und erfuhr, dass das Wohnhaus dieser Frau immer noch steht. Und fasste den Entschluss zu diesem Film. Er wollte gar keine historischen Thesen aufstellen, er wollte nicht mal einen Film über die Revolution machen, vielleicht interessierte ihn auch nicht die Auffassung der Lady, dass ein Land ohne König verloren sei, von einem Land, das seinen König köpfen lässt - und die hübschen Prinzessinnen dazu - gar nicht zu reden.

Nein, Rohmer wollte ein echtes 18. Jahrhundert-Haus verfilmen, in dem im 18. Jahrhundert eine echte 18. Jahrhundert-Lady wohnte. Leider erwies sich das Haus später als denkbar unecht. Das historische Journal irrte, es war ein postrevolutionärer Bau. Rohmers zweites Problem: Woher bekomme ich ein garantiert echtes Paris, ein 1789er-Paris? Den Kinotrick, historische Toreinfahrten zu benutzen, lehnte er ab. So entstand die Gemälde-Idee. "Die Lady und der Herzog" spielt vor 37 gemalten Filmkulissen - Paris, rekonstruiert nach alten Bildern und Stadtplänen. Durch diese vorsätzlich echte Unechtheit oder unechte Echtheit hat Rohmer seinen Film vor dem Kostümgenre gerettet.

Aber diese Weite, der Blick aus Grace Elliotts Fenster hinüber in die Tuilerien, ist nur die eine Seite. Denn Rohmer, man weiß es, ist in Wirklichkeit ein Mikrokosmos-Filmer. Darum machen die Lady und der Herzog das, womit zwei Leute sich bei Rohmer meistens beschäftigen. Sie reden, und zwar bei der Lady zu Hause. Natürlich sollen sie bei Rohmer möglichst echt reden. Und die Gesten sollen echt wirken. Am Anfang etwa, wenn der Herzog von Orléans seine Mätresse besuchen kommt, und erfahren muss, dass die Lady seine prorevolutionären Ansichten - der Herzog kann seinen Cousin, den König, nicht ausstehen - keineswegs teilt. Und auch noch am Ende, als der Kopf des Herzogs sich anschickt, das Schicksal aller revolutionären Köpfe zu teilen.

Lucy Russell und Jean-Claude Dreyfus machen ihre Sache sehr schön. Und doch: Die Echtheit von früher kann durchaus die Unechtheit von heute sein. Ein großer Film? Ein hoch interessantes Kino-Experiment - und ein Muss für alle, die nie sagen könnten, wo Oben und Unten ist, wenn sie es nicht ab und zu umkehrten. Probehalber. Erfahrungshalber.

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