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Kultur: Die Leiden der jungen H.

Ein Ibsen für heute: Thomas Ostermeier triumphiert mit „Hedda Gabler“ an der Berliner Schaubühne

Größe. Der verzweifelte Wunsch, dass das nicht alles gewesen sein möge im Leben, diese Kälte, diese Langweile, dieses Abgestorbene. Sie sagt nicht Leidenschaft, und schon gar nicht Liebe. Kein heißes Gefühl will sie. Sondern: Größe.

Seltsamer Wunsch, wenn man so jung ist wie diese Hedda Gabler an der Berliner Schaubühne. Knapp 26 ist die Schauspielerin Katharina Schüttler, und wenn sie sagt: „Ich langweile mich so“, dann hört man heraus, dass es nie anders war. Dass ist nicht der reife Überdruss einer Corinna Kirchhoff, einer Isabelle Huppert: Frauen, die im Zenit ihres Lebens ahnen, dass da nichts mehr kommen kann, dass nichts mehr besser werden wird. Katharina Schüttlers Hedda weiß: Es war nie anders. Kann nie anders sein.

Deshalb der Wunsch nach Größe. Der Wunsch eines Kindes, wie die Forderung: Hol mir den Mond herab, und alle Sterne dazu. Maßlos. Sinnlos. Hoffnungslos. Ein großes Haus wünscht sie sich zum Beispiel, eine Villa. Entsprungen ist der Wunsch aus einer Laune, aus Langeweile: Da würd ich gern wohnen, hat Hedda eines Abends gesagt, nur so dahingesagt, und aus dem unbedachten Spruch ist Verlobung, Ehe, Hausstand geworden.

Ein goldener, nein, ein gläserner Käfig. Jan Pappelbaum hat der Schaubühne dazu ein Monsterhaus hingestellt, ein moderner Alptraum in Glas und Beton. Alles ist Fassade an dieser Villa, eine massive Betonfassade, um die sich trefflich schleichen lässt, ein Spiel des Spitzelns, Versteckens und Verbergens. Und dazu, als Gegensatz, eine endlose Glasfront, über die der Regen läuft, und die das Innen nach außen spiegelt. Irgendwann sieht man die Bewohner nur noch hinter Glas, und hört sie nicht mehr. Ein in die Decke gehängter Spiegel reflektiert die Schauspieler von oben. Eine kühle Versuchsanordnung, künstlich wie in Lars von Triers Film „Dogville“.

Hedda ist eine Gefangene ihrer selbst, eine Figur wie aus einem Stück von Jon Fosse, die Ostermeier sonst so gern inszeniert. „Ich sehe mir den Regen an“, sagt Hedda, wenn sie am Fenster steht. Immer steht sie dort, wenn sie eine ihrer Fallen gestellt hat, und lächelt, nein, lächelt kaum, sieht ein bisschen nachdenklich aus, ein bisschen triumphierend, ein bisschen ratlos. Unschuldig, jung, cool und berechnend. Noras jüngere Schwester, möchte man meinen. Mit Ibsens „Nora“ hatte Ostermeier 2002 seinen größten Erfolg gelandet: Mehr als 40000 Zuschauer gab es allein in Berlin, auf Tourneen noch einmal doppelt so viele. Schon jetzt ist abzusehen, dass „Hedda Gabler“ ein ähnlich großer Erfolg werden wird.

Und doch ist die Inszenierung um einiges radikaler. Während Nora, grandios gespielt von Anne Tismer, wütend anrannte gegen die Begrenzungen eines Lebens als Hausfrau und Mutter, das ihr nicht gemäß ist, und das sie doch gewählt hatte, gehört Katharina Schüttlers Hedda zu einer anderen Generation. Selbstbestimmung, Emanzipation ist hier keine Frage mehr, Hedda tut immer nur, was sie will: und macht dennoch alles falsch.

Größe wollte sie haben, sie hat sie im Erfolg gesucht. Hat den als Mann gewählt, der schneller Karriere zu machen versprach, nicht den unsicheren Kantonisten. Und beobachtet nun entsetzt, wie die schöne Fassade schon am ersten Abend bröckelt. Bald streitet man um Geld, und das Gespenst von Armut und Ruin droht. Die größte Erniedrigung, die Schonung durch den Feind, ruft bei Jørgen Tesman nur Erleichterung hervor. Lars Eidinger gibt ihm eine bodenständige Unbedarftheit, „Ich glaub’ das jetzt nicht“ ist sein Lieblingsspruch, und erst sind es die roten Hausschuhe, der spießige Traum von Häuslichkeit, dann der glückliche Urschrei des werdenden Vaters, die Hedda mit Grausen erfüllen. Lächerlichkeit ist ihre große Angst, und dieser Tesman ist lächerlich. Tapsig wie ein Bär und bald auch so gewalttätig behandelt er das zarte Vögelchen, das ihm da in die Hand geflogen ist, und das er vorführt wie ein Kunstwerk: „Ist sie nicht schön?“

Die anderen sind auch nicht besser: Der smarte Anwalt Brack (Jörg Hartmann) in Barbourjacke und Hornbrille, der so pragmatisch eine Dreiecksbeziehung plant, der so abgedroschen wie erfolgreich flirtet und seinen Vorteil dann am Ende so skrupellos, so eiskalt nutzt. Wäre Hedda einer gewachsen gewesen, dann Eilert Løvborg, der genialische, der unzuverlässige Geliebte. Kay Bartholomäus Schulze gibt ihn als Zyniker, schnöselig glatt beim ersten Auftritt und bald mit einer Maßlosigkeit auseinanderbrechend, die Selbstzerstörung ist. Dass diese Maßlosigkeit auch Größe ist, erkennt Hedda nicht, und der „große“ Tod, in den sie Eilert jagen will, soll nur sie aus ihrer Kleinheit befreien.

Denn das ist Heddas Problem, dass sie selbst klein ist und feige. Dass sie aus Angst die Sicherheit gewählt hat, und Reichtum und Langeweile. Mit der großen Liebe könne man auch in Neukölln auf Hartz-IV-Niveau landen, hat Regisseur Thomas Ostermeier zuvor im Interview gesagt. Dass sie das nicht riskiert, sondern zögert, ist Heddas, ist das Problem der Generation, die Ostermeier in dieser so hellsichtigen Inszenierung porträtiert. Riesen-Ansprüche und kleinliche Angst, Sicherheitsdenken und peinliche Leere, das ist seine Diagnose für Deutschland heute. Hedda weiß das und hasst sich dafür. Und alle anderen auch.

Mit Katharina Schüttler hat Ostermeier das ideale Gesicht für Hedda gefunden. Die 26-Jährige hat eine quecksilbrige Wandelbarkeit in der Wahl ihrer Mittel, mal das zärtlich schmeichelnde Frauchen, dann die verständnisvolle Freundin, alle ihre Bosheiten kommen wie aus Versehen daher und sind doch genau geplant. Keine Sekunde hat man mit dieser Hedda Mitleid, man sieht sie als das Monster, das sie ist. Ja, nicht einmal den großen Abgang gönnt Ostermeier ihr. Die Welt der Drehbühne kreist weiter, und mit ihr die Bodenständigen, die sich arrangiert haben in neuen Aufgaben. Dass Hedda fehlt, dass sie abgegangen ist, bemerkt keiner. Ein Witz noch, man lacht, und weiter geht’s: business as usual. Wahrscheinlich ist es so das kläglichste Ende, eine Flucht, eine Verzweiflung, ein Tod, den keiner auch nur wahrnimmt. Und hat in diesem unbedingten Ausbruchswillen doch: Größe, endlich.

Nächste Aufführungen: 29. und 31. Oktober sowie 1. November, jeweils 20 Uhr

Christina Tilmann

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