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Alxander von Humboldt Unter den Linden, vor der nach ihm benannten Universität.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Humboldt-Forum in Berlin - doch nur ein Museum?: Die Macht der Module

Wozu braucht das Humboldt-Forum einen Intendanten? Das Werk des großen Reisenden Alexander von Humboldt weist den Weg.

Als der schon ältere Alexander von Humboldt noch einmal auf Reisen war, im kalten Russland, erreichte ihn aus Berlin ein Brief, in dem ihm die Direktion der königlichen Kunstsammlung angetragen wurde. Er lehnte ab. Der Forscher, Schriftsteller, Diplomat, Privatgelehrte, Kammerherr wollte auch mit bald sechzig Jahren beweglich bleiben, sich nicht festlegen müssen auf ein Aufgabengebiet – schon gar nicht auf eine so tote Materie wie die Malerei in einer Schlossgalerie, die ihn auch interessierte, aber stets im Zusammenhang mit Erscheinungen der lebendigen Biosphäre, der physikalischen Welt, in der der Mensch lebt und von welcher er nicht weniger geprägt ist als von künstlerischphilosophischen Idiomen. Humboldt griff nach einem ganzheitlichen Weltbild, das Natur- und Menschenrecht im Einklang halten könnte.

Ähnlich liegt der Konflikt bei der Gestaltung des Humboldt-Forums in der Mitte Berlins, der größten und anspruchsvollsten Kulturbaustelle einer Nation, die im Ausland ein Netz mit Goethe-Instituten unterhält, die Humboldts globale Praxis und sein vielerorts präsentes Werk, mit bedenken und fortschreiben. Es ist die Frage, ob am Ende nicht doch bloß ein ethnologisches Museum neuesten Standards entsteht, was auch nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist, betrachtet man die Fülle der Sammlungen in Dahlem und ihre traditionelle Aufteilung. Oder ob etwas anderes gelingt, ein multidisziplinäres, dynamisches Centre Humboldt. Schließlich hat der Mann, der 1859 in Berlin starb, Jahrzehnte in Paris verbracht, auf Französisch geschrieben – so wie man sich heute auf das Englische versteht, das er ebenfalls beherrschte.

Was soll das Humboldt-Forum sein, nach der für 2019 avisierten Eröffnung? So viel ist festgeschrieben und in Arbeit: Die außereuropäischen Sammlungen ziehen dorthin, ins rekonstruierte Schloss. Das ist alles andere als die passende Umgebung für ein solches Forum, aber so wurde es entschieden. Auch der gängige Begriff des „Außereuropäischen“ ist eine überkommene Denkform, wenn es um ganze Kontinente geht – Asien, Amerika. Ein Haus der Ausstellungen wird es in jedem Fall, dazu kommen Beiträge der Humboldt-Universität und der Zentralen Landesbibliothek, wenn das Land Berlin keinen Rückzieher macht. Spiel-Raum, bewegliche Masse ist lediglich die Agora. Nun wird ein Intendant für das Humboldt-Forum gesucht. Es soll zügig gehen, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters, also noch in diesem Jahr. Denn die Einrichtung und Raumverteilung der Geschosse steht weitgehend fest. Die Module sind durchgeplant.

Eine ganze Welt im Buch

Im Theaterbetrieb hieße das: Man sucht einen Intendanten für ein bereits engagiertes Ensemble, auch der Spielplan hat schon klare Züge, die andere bestimmen, allein das Foyer oder die Experimentierbühne sind offen. Dennoch braucht man eine solche Person. Damit es ein Haus wird, wie man es wenigstens in Deutschland noch nicht gesehen hat. Man muss es versuchen, trotz aller schlechten und unumkehrbaren Kompromisse.

Anregungen, Ideen finden sich bei Alexander von Humboldt in Überfülle. „Humboldt war ein Pionier der ästhetischen Inszenierung wissenschaftlicher Erkenntnisse“, schreibt Oliver Lubrich, ein profunder Kenner der Materie, in seinen Vorbemerkungen zu dem Prachtband „Alexander von Humboldt. Das graphische Gesamtwerk“ (Verlag Lambert Schneider, 800 Seiten, 1576 Abb., 79,95 Euro). Das Buch ist im Herbst erschienen, war sofort vergriffen, eine Neuauflage ist angekündigt. Eine Sensation: Erstmals liegen die Zeichnungen des Unermüdlichen komplett vor: Landkarten, Flussläufe, Diagramme, aztekische Artefakte, Pflanzen, Tiere, Bergketten, Gebäude, hin und wieder auch Menschen. Alexander von Humboldt hat das Zeichnen als junger Mann in Berlin gelernt, er war darin schnell und geschickt. Später beschäftigte er für seine aufwendigen Buchpublikationen die besten und teuersten Illustratoren, Kolorateure, Drucker; für sie reiste er nach Paris, nach Rom. Und gab dafür ein Vermögen aus. Nach der Amerikareise (1799 – 1804) entstand ein enzyklopädisches Œuvre, das wohl letzte seiner Art. Danach setzte bald die Spezialisierung der Forschungs- und Wissenszweige ein, trennten sich Naturwissenschaft und poetische Literatur.

Für die Intendanz werden zwei Männer gehandelt: Neil MacGregor und Chris Dercon

Mit seinem wohlgeordneten Chaos zeigt dieses Buch den Weg. Das Humboldt-Forum kann ja nichts anderes sein als ein Haus der Welt – und nicht der erstarrten Formen. Lubrich schreibt: „Humboldt machte sein Reisewerk zu einem Museum, den Leser zu einem Museumsbesucher und den Reisenden zum Kurator.“ Wobei das alles austauschbar wird. Gemeint ist vor allem das Buch „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas“, sein vielleicht schönstes, das sich auf jeder Seite mit gleichem Gewinn öffnen lässt.

Für die Intendanz werden derzeit zwei Männer gehandelt, beide in London tätig. Der eine, Chris Dercon, Jahrgang 1958, ist Leiter der Tate Modern, der andere, Neil MacGregor, Jahrgang 1946, Direktor des British Museum. Beide sprechen Deutsch. MacGregors Buch „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ (C. H. Beck Verlag, 2011) wurde zum Bestseller. Darin unternimmt er Reisen durch Zeit und Raum – vom Faustkeil zur ägyptischen Mumie, von einer Münze mit dem Kopf Alexanders des Großen über einen koreanischen Dachziegel bis zu Dürers Rhinozeros. Diese Geschichte ist ein humboldtisches Buch, eine Einladung zum gelehrten Eklektizismus und der beste Beweis gegen die oft gehörte Behauptung, die globalisierte Welt sei klein und werde immer kleiner. MacGregor will in der „Biografie der Dinge“, wie er es ausdrückt, „am Globus drehen und die ganze Welt gleichzeitig in den Blick nehmen“. Sofern der Schlossbau von Franco Stella und die fortgeschrittenen Planungen fürs Humboldt-Forum das zulassen. Sofern McGregor überhaupt nach Berlin kommen will.

In der Tate Modern gibt es die große Turbinenhalle, zur Zeit mit einer Riesenskulptur von Richard Tuttle. Die Agora im Humboldt-Forum könnte etwas Ähnliches sein: ein Raum, der Welt umfasst, der weitere Räume öffnet. Fenster und Türen hat das Schloss mehr als genug.

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