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Kultur: Die Macht und die Mädchen

Eine Generation wird ausgemustert (4): Was Rot-Grün den Frauen gebracht hat

Von Caroline Fetscher

Kaum hatte Rot-Grün die Kombination Schwarz-Gelb abgelöst, tauchte, im Januar 1999, im Fernsehen eine neue Farbe auf. Brünett. Jahrzehnte lang hatten die Herrenrunden in den TV-Anstalten der Nachkriegszeit sich stillschweigend darauf geeinigt, zum Präsentieren der „Tagesschau“ eigneten sich allein blonde Loreleyen. Ich höre noch meinen Großvater mütterlicherseits, einen pensionierten Degussa-Prokuristen, wie er sagte: „Da kommt die blonde Trulla!“

Der handfeste Blondismus unserer Nation ließ „Bild am Sonntag“ sorgenvoll fragen: „Hat eine Dunkelhaarige überhaupt eine Chance?“ Es kam einer kleinen Kulturrevolution gleich, dass Susanne Daubner aus der DDR nun das Leben der Bundesrepublik bereicherte, während Rot-Grün mit mehreren Ministerinnen ins Kabinett zog: Heidemarie Wieczorek-Zeul (Entwicklung), Edelgard Bulmahn (Bildung und Wissenschaft), Herta Däubler-Gmelin (Justiz), Andrea Fischer (Gesundheit), Christine Bergmann (Familie). Ein Paradigmenwechsel, bedenkt man, dass mit der 1901 geborenen Elisabeth Schwarzhaupt (!) 1961 erstmals seit Einführung des Frauenstimmrechts eine Frau ein Ministeramt übernahm. Lange kam auf diesem Gebiet so gut wie nichts nach, außer Rita Süssmuth – und Annemarie Renger als Bundestagspräsidentin: ein beliebter Posten, wenn eine Frau ganz oben sein, aber doch nicht viel Einfluss haben soll.

Zwar waren nach dem Faschismus die Trümmerfrauen unverzichtbar für den „Wiederaufbau“, wohl hatte das Grundgesetz von 1949, gegen eine Flut von Protestbriefen, die Gleichberechtigung festgeschrieben. Aber mit der ökonomischen Konsolidierung folgte sogleich die Gegenbewegung, konservative Wertvorstellungen gerieten wieder an die Oberfläche. Zwischen 1953 und 1965 sank sogar in der SPD der Anteil an weiblichen Mandaten von 13 auf 8,8 Prozent, in der CDU noch tiefer, von 8,1 auf 5,9 Prozent. Ihren Tiefpunkt erreichte die Frauenquote im Bundestag 1972 mit 5,8 Prozent. Da hatte auch die Studentenrevolte nichts geholfen, im Gegenteil.

Antje Vollmer rechnete auf dem SDSKongress in Frankfurt 1988 mit den Genossen ab: „Euer Werk (...) war die Verknüpfung von Revolte und Machismo. Und damit habt ihr nicht nur die Revolution für die Frauen verhunzt, sondern auch die größte Chance zur Vermeidung eurer eigenen Niederlage vertan. Von Anfang an nämlich hatten die Frauen bei euch keinen Platz.“ (Wer hatte Angst vor Petra Kelly?)

Zehn Jahre später erreichte das Echo des früheren Frauenchors die Ohren von Schröder und Fischer. Jaja, sie würden die Macht, zumindest ein wenig, teilen. 2001 zog auch Renate Künast als Umweltministerin ins Kabinett. Ohne viel an der Sturheit der Bauernverbände ändern zu können, verschaffte sie sich mehr Respekt als Jürgen Trittin mit seiner psychoanalytisch fragwürdigen Obsession für das Dosenpfand, die im Ausland für Deutschen-Witze sorgte. Egal, ein neues Zeitalter schien 1998 angebrochen, als eins der hässlichsten deutschen Wörter, der „Sachzwang“, dynamischen Zukunftsvisionen weichen sollte. Befreiung war das Gefühl der Stunde, selbst noch, als Lafontaine sofort das Handtuch warf, um jetzt, zurück vom Schwimmausflug, in einer dezidierten Zwei-Männer-Riege neu anzutreten.

Von der einstigen Kommunardin, heute vor allem verkörpert durch den Typus Claudia Roth, bis zur „linken Lehrerin“, ob hennagefärbt oder mit burschikosem Kurzhaarschnitt, reichte die Riege der rot-grünen Frauen. Helmut Kohl hatte das bunte Treiben stets mit wachem Blinzeln verfolgt und stellte bald seinerseits weibliches Politpersonal in Aussicht. Neben dem „Mädchen“ Angel Merkel tauchten junge Frauen wie Claudia Nolte auf. Die kamen, gingen und wurden vergessen. Bis auf die eine. Gleichwohl wartet die CDU (Frauenanteil 20 Prozent) inzwischen hier und da mit Fabelwesen wie der niedersächsischen Familienministerin Ursula von der Leyen auf, Medizinerin, gebildet, Jahrgang 1958 und seit 2004 Präsidiumsmitglied der Partei. „Geht also doch!“ ist ihre Botschaft. Ein Stall voll Kinder, eine Hand voll akademischer Titel, ein forderndes Amt, ein sympathischer Ehemann – die CDU macht’s möglich.

Seien wir fair. Gemeinsam mit den Grünen erreichte die SPD (Frauenanteil 30 Prozent) immerhin so utopische Ziele wie die Ermöglichung der Homo-Ehe und im November 2000 das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung. „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen“ sind jetzt gemäß Paragraf 1631 Absatz 2 BGB unzulässig. Außerdem: Die familienpolitischen Leistungen, an denen der Bund beteiligt ist, wurden seit Amtsantritt von Rot-Grün um rund ein Fünftel erhöht. Das Bafög blieb erhalten. Und es wurden „Programme aufgelegt“, um den Anteil von Frauen an Professuren von heute fünf Prozent schon 2006 auf ganze zehn Prozent zu verdoppeln. Der Haushalt für Bildung und Forschung wuchs um mehr als 15 Prozent.

Trotz alledem drückte die ansteigende Kurve der Jobsuchenden auf die Laune, eroberten die Patzer und Nebenschauplätze des Regierungsgebarens die Schlagzeilen, schoben sich der ignorierte und rapide globalisierte Markt wie das beharrlich weiterexistierende Ost-WestGefälle mehr und mehr in den Vordergrund, bis sich auch wohlwollende Beobachter fragten: Wo leben die denn? Nicht allein Rot-Grün, auch Teile der Opposition scheinen ein eigenes Neverland zu besiedeln, ohne Kenntnis der Städte voller inländischer wie ausländischer Pisa-Kinder, weit entfernt von der Hartz-IV-Verzweiflung des Behördenpersonals wie der Leute ohne Arbeit.

Nun schwebt also statt der Agenda 2010 „Angela 2010“ ante portas, ostdeutsch, geschieden, kinderlos, Akademikerin: die Frau mit dem idealen SPD-Profil. „Der nächste Kanzler wird wahrscheinlich weiblich sein und Angela Merkel heißen, der nächste Vizekanzler homosexuell und Guido Westerwelle. Ironie des Schicksals: Die rot-grüne Regierung selbst hat beiden erst den Weg geebnet“, schrieb ein Kommentator. Warten wir ab, was passiert, wenn den Anhängern der traditionellen CDU das alles allmählich dämmert. Es kann durchaus sein, dass dann auch die Drohparolen gegen Ausländer beim Wählervolk nicht weiterhelfen. Darauf, dass in Deutschland nicht sobald eine Frau an die Spitze kommt, verwetten übrigens viele Dosen ihr Pfand.

Bisher erschienen: „Zwei linke Hände“ von Harald Martenstein (6.6.), „Bis wir schwarz werden“ von Jan Schulz-Ojala (10.6.) und „Coole Eltern nerven“ von Robert Ide (17.6.)

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