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Am Krankenbett. Mutter mit Kind, gemalt von Clara Siewert (1892 – 1900).

©  Katalog

Wiederentdeckung einer vergessenen Generation: Die Madonna mit dem Davidstern

„Quo Vadis, Mater?“ Das Verborgene Museum erinnert mit einer Ausstellung an die Künstlerinnen des Berliner Lyceum-Clubs.

Ihre Augen leuchten, als Ursula Rohloff von ihrer Spurensuche erzählt. Vor zehn Jahren hat sie begonnen, Werke heute nahezu vergessener Künstlerinnen zu sammeln. Anlass war das 100. Jubiläum des Berliner Lyceum-Clubs, dessen Mitglied sie ist. Der 1905 nach einem Londoner Vorbild gegründete Club war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Vereinigungen kulturell und intellektuell engagierter Frauen, insbesondere des Adels und der gehobenen Mittelschicht. Zu seinen Gründungsmitgliedern gehörten Symbolfiguren der deutschen Frauenbewegung wie Helene Lange und Alice Salomon oder die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Zum 110-jährigen Bestehen des Clubs und dem internationalen Kulturtreffen seiner Mitglieder in diesem Jahr in Berlin haben Ursula Rohloff und ihre Vereinskolleginnen nun Werke früherer Mitglieder zusammengetragen.

Die Ausstellung „Quo Vadis, Mater? Künstlerinnen des Lyceum-Clubs 1905–1933“ zeigt mehr als 50 Bilder von 31 Künstlerinnen. Der Titel geht zurück auf eine gleichnamige Lithografie von Dora Hitz. Zugleich nimmt er Bezug auf das sich wandelnde Rollenverständnis der Frau um die Jahrhundertwende. Die Frauen traten zunehmend aus ihrer traditionellen Rolle als Mutter heraus, um selbstbewusst das gesellschaftliche und kulturelle Leben mitzugestalten.

Als bekannteste Künstlerin der Ausstellung ist Käthe Kollwitz mit zwei Litografien vertreten. Neben ihr zeigt die Schau eine Werkauswahl nahezu unbekannter Arbeiten, so vielfältig, wie die Biografien der Künstlerinnen es sind. Größtenteils stammen die Stücke aus privaten Sammlungen. Nebeneinander stehen, liegen und hängen Ölgemälde und Aquarelle, Tuschezeichnungen, Grafiken, Buchillustrationen, Fotografien und Skulpturen.

Besonders berühren die Tuschezeichnungen der 1945 verstorbenen Clara Siewert. Die vier kleinen Bilder entwickeln in ihrer Einfachheit, mit ihrem energischen Strich eine nahezu schmerzhafte Kraft. Auch das Gemälde „Mère et Enfant“ der 1877 in Breslau geborenen Käthe Münzer-Neumann beeindruckt. Von Zeitgenossen mit Madonnendarstellungen verglichen, weiß der heutige Betrachter gleich um die Tragik eines solchen Vergleichs. Denn diese „Madonna“ von 1944 trägt einen Judenstern auf ihrer Brust.

Wie viele Künstlerinnen des Clubs emigrierte die jüdische Malerin bereits in den frühen Dreißigerjahren. Andere harrten aus, wurden von den Nationalsozialisten zunächst mit Berufsverbot belegt, verfolgt, nicht wenige von ihnen schließlich deportiert und ermordet. Während Käthe Münzer-Neumann nach 1945 in Frankreich, wo sie im Untergrund überlebte, große Anerkennung erfuhr, ist sie wie die meisten anderen heute in Deutschland vergessen. In dramatischer Konsequenz zeigt sich hier, wie die Nationalsozialisten fast eine gesamte Generation von Künstlerinnen verdrängten und aus der Erinnerung löschten.

Umso dankenswerter ist das Engagement der Frauen des Lyceum-Clubs, ihre früheren Mitglieder nun mit einer eigenen Ausstellung zu würdigen. Der Ort könnte symbolischer kaum gewählt sein: Das kleine „Verborgene Museum“ liegt versteckt in einem Hinterhof in der Charlottenburger Schlüterstraße. Man wünscht diesen Künstlerinnen nun, dass sie nicht nur wiederentdeckt werden, sondern endlich auch aus dem Verborgenen heraustreten.

Das Verborgene Museum, Schlüterstr. 70, bis 26.7.; Do/Fr 15–19 Uhr, Sa/So 12–16 Uhr.

Sabrina Wagner

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