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Kultur: Die Mächte der Verdummung

Von Denis Scheck

Der Literaturkritiker kommentiert einmal monatlich abwechselnd die aktuellen Belletristik und Sachbuchlisten der „Spiegel“-Bestseller – ab September parallel zu seinem sonntäglichen Fernsehmagazin „Druckfrisch“ in der ARD. Der heutigen Kolumne liegt die Sachbuch-Liste vom August zu Grunde – wie immer in aufsteigender Reihenfolge von Platz zehn bis eins.

10) Stefan Klein: Alles Zufall. Rowohlt, 377 S., 19,90 €.

Ein Buch für alle, die beim Roulette nach fünfmal Rot den unwiderstehlichen Drang empfinden, nun unbedingt auf Schwarz zu setzen. Stefan Klein schreibt einen sehr angenehmen, eleganten Stil, erzählt kundig von Spieltheorie, Chaosforschung und verschränkten Elementarteilchen und nimmt damit so für sein Thema ein, dass man die banalen Weisheiten zur Lebenshilfe im zweiten Teil fast verzeiht.

9) Gabor Steingart: Deutschland – derAbstiegeines Superstars. Piper, 320 S., 13 €.

Das Bild einer sterbenden Sonne ist die Leitmetapher dieser konzisen und leicht nachvollziehbaren Analyse der Fehler in der deutschen Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte: der produktive Kern unserer Wirtschaft schmilzt, die Kruste aus Leistungsempfängern wird immer dicker. Steingart schildert anschaulich die ökonomische Erosion, das wirkungslose Versickern der Transferleistungen in den Osten – und weiß auch, was sich ändern müsste: zum Beispiel die Entkoppelung der Lohnkosten von Sozialversicherungssystemen. Horror vom Feinsten für Gewerkschaftsfunktionäre und andere Blinde-Kuh-Spieler.

8) Sir Peter Ustinov: Achtung! Vorurteile.Hoffmann&Campe,286S.,19 €.

Seit die Griechen den Barbaren erfanden, leben wir in einer Kultur des Vorurteils. Ustinovs mit kauzigem Charme servierte Anekdoten lassen viele lieb gewonnene Stereotypen, Ressentiments und falsche Zuschreibungen unter dem Gewicht ihrer eigenen Dummheit in sich zusammenkrachen. Was bleibt, ist ein Kichern in der Luft.

7) Werner Tiki Küstenmacher, Lothar J. Seiwert: Simplify your life. Campus, 355 S., 19,90.

Weil wir Menschen der Moderne alle im Zustand ständiger Überforderung leben, klingt nichts süßer in unseren Ohren als jedes Versprechen, Kompliziertes einfach zu machen. Die Autoren geben exzellente Tipps, wie man seinen Papierkram in Ordnung bringt und seine Finanzen plant. Dann kippt die Ideologie des Buches aber komplett in den Irrsinn um, weil nun auch das Privat-, Liebes- und Seelenleben, ja selbst noch das Nachleben auf Effizienz getrimmt werden soll.

6) Jan Ullrich mit Hagen Boßdorf: Ganz oder gar nicht. Meine Geschichte. Econ, 300 S., 19,90 €.

Die Ich-Form dieser Autobiografie ist gelogen, und die Lüge ist das Problem dieses bemerkenswert gut geschriebenen schlechten Buchs. „Mein Talent bestand darin, dass ich schnell Rad fahren konnte. Und dieses Talent wurde in der DDR gefördert. Die meisten Sorgen des Alltags, die die Menschen dazu brachten, auf die Straße zu gehen und die Regierung zum Teufel zu jagen, kannte ich gar nicht. Ich wurde rund um die Uhr versorgt und hatte über das Radfahren hinaus keine Ansprüche.“ Dieses Eingeständnis ist schön, aber nicht wahr, traurig, aber nicht ehrlich. Es klingt nur ehrlich. Sich eines Ghostwriters für eine Autobiografie zu bedienen, ist nicht weniger peinlich, als gedopt Spitzensport zu betreiben.

5) Wibke Bruhns: Meines Vaters Land. Econ, 395 S., 22 €.

Der Vater der Journalistin Wibke Bruhns, Hans-Georg Klamroth, wurde wegen seiner Mitwisserschaft des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 hingerichtet. Wibke Bruhns hat ein anrührendes, aber nie kitschiges Buch über das Leben ihres Vaters geschrieben, eine fesselnde Chronik des politischen Versagens des deutschen Bürgertums.

4) Michael Moore: Volle Deckung, Mr. Bush. A. d. Amerik. von Bayer/Dierlam/ Pfeiffer/Schlatterer, Piper, 315 S., 12,90.

Ein Buch wie ein misslungenes Soufflé: aus der Ferne prächtig anzuschauen, hält man es dann aber in Händen, nur heiße Luft. Man kann zwar mit dem Hammer philosophieren, mit der Brechstange Satiren schrieben sollte man lieber nicht. Das Metier von Michael Moore ist nicht Aufklärung, sondern Propaganda.

3) Frank Schirrmacher: Das Methusalem-Komplott. Blessing, 220 S., 16 €.

Selten wurde soviel publizistisches Tamtam für eine so schlichte Botschaft aufgewandt: Du bist so jung, wie Du dich fühlst, sagt uns Frank Schirrmacher, kleidet seine richtigen und bedenkenswerten Erkenntnisse über das Altern der Deutschen und den Jugendterror der Werbung aber in so martialische Sprache, dass man sich zu Gast in einem preußischen Offizierscasino wähnt: „Die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts waren Konflikte des Raumes. Jetzt handelt es sich um Konflikte der Zeit.“ Danke, wegtreten.

2) Bill Clinton: Mein Leben. Econ, 1472 S., 28 €.

Die Tonlage dieser Memoiren beschreibt am besten der schöne protestantische Begriff „Sündenstolz“: hin und her gerissen zwischen Reue und Genugtuung, hält Clinton ausufernd lang, stets aber kurzweilig Rückschau auf ein durchaus exemplarisches amerikanisches Leben. Leider hält der Econ Verlag die Leser dieses Buchs für Idioten – warum sonst erscheinen Begriffe wie „brillanter Renaissancemensch“ erläuterungsbedürftig durch die alberne Anmerkung der Redaktion „jemand, der vielseitig gebildet und interessiert ist“?

1) Susanne Fröhlich: Moppel-Ich, Krüger, 268 S., 13,90 €.

Das Leben als unentwegter Kampf mit der Waage ist ein schönes Thema, gewiss eines neuen Italo Svevo würdig. Frau Fröhlich hat sich aber entschieden, ihr Buch im aufgekratzten „Mädels-wie-wir“-Stil zu schreiben und macht sich so mit den Mächten der Verdummung gemein, die ein ganzes Geschlecht in Ketten halten. Der Terror dieses Stils resultiert aus der Mischung von bemühter Witzelei, gesundem Volksempfinden und dem festen Vorsatz, nur nicht aus Versehen wirklich etwas zu sagen – darin nicht unähnlich den Morgenshows im Kommerzradio. Ein Buch, das nervt.

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