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Kultur: Die Nacht singt ihre Lieder

Die Welt ist eine Bühne: Nach London macht die große Hopper-Retrospektive nun in Köln Station

War es zuletzt im Hotel, bei schummrigem Licht? Oder nachts in der Straßenbahn, die Welt draußen regennass, das Licht im Wagen neonhell? Allein im Café, wo du gedankenverloren in der Tasse rührtest, nur um irgend etwas zu tun? Oder im Kino in der Nachmittagsvorstellung, der Film war schlecht, und die Besucher konntest du an einer Hand abzählen? Da jedenfalls war es wieder da, dieses Gefühl von Verlassenheit, Einsamkeit, Fremdheit: das HopperGefühl.

Die Werke des amerikanischen Malers Edward Hopper (1882–1967) sind zu trivialen Ikonen geworden, tausendfach vervielfältigt, als Poster oder Postkarte. Wie viele Sehnsuchts-, Liebes-, Trennungsbotschaften mögen mit Hopper überbracht worden sein? Filmregisseure wie Wim Wenders haben hier ihr Amerika-Bild gefunden, haben Hopper zitiert in Filmen wie „Paris, Texas“ oder „Am Ende der Gewalt“. Lektoren haben seine Bilder für Buchumschläge ausgewählt, mit Titeln wie „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ oder „Die Ballade vom traurigen Café“. Und vor den Bildern liest man demnächst aus Paula Fox’ seelenverwandtem Debütroman „Pech für George“ von 1967.

Amerika, wie Europäer es sich vorstellen. Doch jenseits des gängigen Klischees verkörpern Hoppers Bilder Allgemeingültiges. Schon die Titel deuten darauf hin, wie die ähnlich allgemein gehaltenen Filmtitel eines Yasujiro Ozu: „Early Sunday Morning“, „Sunday“, „Eleven A.M.“, „Summertime“, „Morning Sun“. Endlose Variationen, Erforschungen der Conditio Humana. Transitorische Orte, Tankstellen, Bahnhöfe, Cafés, Hotels, Büros, Theater, Kino. Landschaftsbilder, in denen die von Menschenhand geschaffene Technik die Natur bestimmt. Bilder der Beziehunglosigkeit zwischen Mann und Frau, wo Distanz und Sprachlosigkeit herrscht. Nur wenn sie lesen – was sie erstaunlich oft tun –, wirken Hoppers Protagonisten entspannt, ruhig, ganz bei sich. Kein Wunder: Der Maler selbst war ein leidenschaftlicher Leser.

„Jeder hat einen Pass zu Hoppers Welt“, heißt es in einem frühen Filmporträt von Brian O’Doherty. Beim großen MoMA-Gastspiel in Berlin waren die Hopper-Gemälde „Gas“ und „New York Movie“ erklärte Publikumslieblinge. So wird die große Retrospektive, die nach einer Station in Londons Tate Modern (vgl. Tagesspiegel vom 19. Juni) nun ihre zweite und letzte im Kölner Museum Ludwig hat, wohl zum vergleichbaren Blockbuster werden. 430000 Besucher sahen die 80 Werke in London. Für Köln, wo die Ausstellung in verkleinerter Version mit 60 Bildern zu sehen ist, werden noch mehr erwartet.Gerade auf Menschen, die sonst nicht unbedingt mit Kunst in Kontakt kommen, übt Hopper eine unwiderstehliche Faszination aus, mutmaßt Museumschef Kaspar König in Köln.

Der Ort ist nicht von ungefähr gewählt. Nicht nur, dass das Museum Ludwig mit seinen Pop-Art-Beständen die amerikanische Kunst nach Hopper aufs Beste dokumentiert: 1981 war im benachbarten Düsseldorf die erste große Hopper-Retrospektive zu sehen, eine Wanderausstellung des Whitney-Museums New York, dem Hoppers Witwe Josephine den Nachlass vermacht hatte. Sie erst macht Hopper in Europa bekannt. Bis heute sind auf dem Kontinent gerade einmal zwei Hopper-Gemälde zu finden, beide in der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid. Als der Hopper-Funke endlich überspringt, ist der Markt erschöpft. Er könne sich nicht erinnern, so Kurator Ulrich Wilmes, in den letzten Jahren ein Hopper-Bild im Kunsthandel erlebt zu haben. Und auch Museumsgründer Peter Ludwig, der sich zeitlebens einen Hopper gewünscht hatte, war bis zu seinem Tode nicht zum Zuge gekommen.

So werden die wenigsten bislang einen Hopper im Original gesehen haben – auch wenn sie meinen, fast jedes Bild zu kennen. Gerade bei den bekanntesten, den Nachtschwärmern („Nighthawks“), der einsamen Frau im Café („Automat“), der Frau im Hotel („Hotelzimmer“), verwundert das Format: deutlich größer oder kleiner als erwartet. Hinzu kommen offensichtliche Parallelen aus der Kunstgeschichte: Degas lässt grüßen, im Bild der kleinen Näherin („New York Interior“), die von hinten gezeigt ist, in einer Wolke weißen Stoffs. Manet in vielen Bildern. Und, immer wieder, Vermeer. Hier wie dort einsame Frauen, die versonnen aus offenen Fenstern schauen oder einen Brief lesen. Außerdem die Stille der Raumkompositionen, in denen jedes Möbelstück mit Grund an seinem Platz steht. Und vor allem die Art, wie sich alles aus Licht gestaltet. In Hoppers – nur in Köln zu sehendem – Hauptwerk „Hotel Room“ wird die Parallele zu Vermeer besonders deutlich.

Thematisch ist sich Hopper treu geblieben, bis zum Schluss. Eines seiner ersten Bilder, entstanden 1902, zeigt einen einsamen Mann im Theater: der Vorhang noch heruntergelassen, das Bild ist grau in grau gehalten. Es ist schon alles da, was Hopper ausmacht: Entfremdung, Bühne, Einsamkeit. Hoppers letztes Werk von 1966, in Köln effektvoll ans Ende des Ausstellungsparcours’ gehängt, zeigt zwei Komödianten auf der Bühne beim Schlussapplaus. Beide in Weiß, mit den Zügen von Hopper und seiner Frau Josephine. Er zieht sie, die sich scheu im Hintergrund hält, nach vorn, mit einem Griff, der kraftvoll wirkt, aber auch klammernd. Und hält sich die andere Hand, halb Dank, halb Schmerz, schützend ans Herz. Ein Jahr später stirbt Hopper, zehn Monate später folgt ihm seine Frau. Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Menschen sind nur Spieler.

Köln, Museum Ludwig, bis 9. Januar. Katalog bei Hatje Cantz, 34 €.

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