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Kultur: Die Netze bleiben leer

Virtuoser Wirrwar: Das Festival „Tanz im August“ lädt zum „Double Bill“ ins Berliner Podewil

Wir sind süchtig nach Geschichten, nach Zusammenhängen, die sich aus dem Getümmel des Lebens herauslesen lassen. Geschichten schützen uns vor der Besinnungslosigkeit, denn was unverbunden bleibt, wird vergessen. Unsere Suche nach Sinn wirft ein eng gesponnenes Netz von Fragen aus, das, wenn man es einholt, auch Gegenständen zusammenzieht, die sich zuvor eher fern lagen.

Dieser Vorgang wird - zumal von Kritikern - gerne als Interpretation bezeichnet. Ins Theater reist man gewöhnlich mit einem ganzen Arsenal von Keschern. Irgendetwas wird schon ins Netz gehen - und sei es auch nur ein ganz kleines erzählerisches Element. Jonathan Burrows und Jan Ritsema erforschen schon lange die Grundlagen des Theaters und wissen um ihr hochgerüstetes Publikum: Sie kennen die oftmals unheimliche Konsequenz, mit der es das Bühnengeschehen als Geschichte deuten will und jeden Zwischenraum mit schnell härtendem Sinnspachtel zuschmiert. Also haben der Tänzer aus London und der Theatermacher aus Amsterdam mit „Weak Dance Strong Questions“ einen bewusst sinnlosen Abend gestaltet, den sie im Rahmen von „Tanz im August“ im Tanzsaal des Podewil aufführten.

Es ist zweifellos ein virtuoser Akt, eine partout nicht lesbare Choreografie darzubieten. Wie schnell stößt so eine Bewegung an die gewaltigen Bilderhochlager, reißt ein formales Muster herunter und strauchelt gar noch in einem Bedeutungsfeld. Burrows und Ritsema aber, die freundlich aus verwaschenen T-Shirts und ausgebeulten Hosen ins Publikum lächeln, sind gewitzt. Bevor eine Bewegung eine formale Stringenz erlangen kann, verkullert sie auch schon im Raum oder springt plötzlich über auf ein absolut willkürliches Körpergestammel. Manchmal glaubt man sich nah davor, etwas zu erkennen. Doch dann kommt eine Wendung, die alle Konturen ausradiert. In Schemen erkennbar und durchaus heiter zu betrachten sind jedoch die unterschiedlichen Provenienzen der beiden Performer: Burrows führt manchmal die Arme noch so grazil, wie er es als Solist des Royal Ballet getan hat, während Ritsema, ein erfahrener Tanzlaie in seinen Fünfzigern, sich etwas linkisch durch den Raum schraubt. 50 Minuten ziehen sie das durch, ohne dass auch nur die Spur einer Entwicklung sichtbar würde.

Auch interpretationseuphorische Zuschauer haben spätestens nach einer halben Stunde ihre Netze eingeholt. Zum Publikumsgespräch aber wollten fast alle bleiben. Vielleicht in der Hoffnung darauf, dass sich Burrows und Ritsema verquatschen - und eine Geschichte erzählen.

So wie Mihai Mihalcea. Der Rumäne hatte zuvor in seinem Solo „Memory for Sale (Childhood included)“ versucht, Erinnerung nicht nur zu erzählen, sondern zur körperlichen Realität werden zu lassen. Aus Mutters Schuhen arbeitete er sich langsam akrobatisch empor, halb Spartakiadekämpfer, halb Strapsträger. Doch Mihalceas bruchlose Anverwandlungen schalteten das wichtigste Element des Erzählens aus: die Perspektive. So blieb nur schwüle Gegenwart. Da legt man freiwillig den Kescher beiseite. Ulrich Amling

Das Internationale Tanzfest Berlin läuft noch bis zum 31. August. Infos: www.tanzfest.de

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