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Kultur: Die offene Wunde

Der Preis der Gewalt ist zu hoch – für beide Seiten / Von Abbas Beydoun

Ich empfinde Trauer um den Tod des Sohns von David Grossman, jenem großen Schriftsteller, der die Welt über die israelische Gewalt gegen die erste, friedliche palästinensische Intifada aufgeklärt hat. Grossman nun hat sich geweigert, diese Tragödie seiner Familie politisch zu missbrauchen. Und ich verstehe auch, dass er es ablehnt, seinen Schmerz gegen irgendeine Art von Wiedergutmachung einzutauschen.

Ich hoffe aber, dass David Grossman mir erlaubt, seine Trauer der Trauer meines Volks hinzuzufügen. Denn dieser Schmerz ist das Einzige, das sich wirkungsvoll gegen die Ideologien der Gewalt auflehnt. Gegen all jene, die da glauben, das Niederwerfen des Anderen sei die Lösung unserer Probleme.

Der Krieg endete mit einem Einverständnis beider Seiten. Die israelische Seite hat verstanden, dass sie einen sehr hohen Preis für jedes weitere Vorankommen auf libanesischem Boden zahlen müsste. Die Hisbollah hat erkannt, dass sie einen noch höheren Preis zu zahlen hätte für ihren anhaltenden Widerstand, der sich trotzdem nicht in einen tatsächlichen Sieg umwandeln ließe. Beide Seiten haben eine Art Gleichgewicht gefunden, sind zurückgewichen und stehen nun im eigenen Land den Resultaten ihrer Abenteuer gegenüber. Und sie werden dort nicht immer nur willkommen geheißen.

Die Libanesen werden fragen, ob die Befreiung von drei Gefangenen wirklich 1300 Tote und die Zerstörung des Südens Wert ist. Und die Israelis werden nach dem Sinn der unmäßigen Gewalt fragen, der keinerlei Sieg entspringt.

Die entscheidende Frage wurde noch nicht gestellt: Warum ist der Krieg unsere einzige Politik gegenüber unseren Nachbarn, und warum ist es unser Plan, ihre Kraft zu lähmen und sie alle zehn Jahre wieder zu demütigen? Ein solches Verhalten – die bloße Zurschaustellung von Macht und Gewalt – ist sinnlos. Denn wir können uns nicht vorstellen, dass eine moderne Gesellschaft mit solch einer Einstellung weiterbestehen kann. Es sieht jedoch nicht danach aus, als würde sich Israel auf das Abenteuer einer anderen, alternativen Vorstellung einlassen wollen.

Den Krieg mit den Arabern hat Israel gewonnen. Es hat mit Ägypten und Jordanien Friedensverträge geschlossen, und auch mit den meisten anderen Ländern befindet es sich im Frieden. Es ist jetzt nicht ernsthaft bedroht. Warum also immer noch diese fortwährende Paranoia der Staatsgründungszeit? Es gibt doch nur noch Syrien, Palästina und den Libanon, und das ist ein einziger Brennpunkt. Und so lange es dort brennt, wird es in den arabischen Ländern starke Sympathien geben. So bleiben Hass und Groll am Leben – und die Wunde offen.

Das Seltsame ist, dass Israel nichts tut, diese Wunde zu schließen. Der Feind ist zwar wichtig für die nationale Einheit, aber doch wohl nicht, wenn der Preis dafür höher ist als der Wert des nationalen Mythos. Warum besteht Israel darauf, den Golan zu besetzt zu halten? Der Golan wird irgendwann einmal so oder so zurückgegeben werden müssen. Warum geschieht das nicht jetzt? Warum wird der Konflikt an dieser Stelle nicht beigelegt? Damit könnte Syrien daran gehindert werden, in Palästina und dem Libanon mit dem Feuer zu spielen.

In Oslo war es doch noch möglich, eine Lösung der palästinensischen Frage zu finden. Warum wird diese Lösung durch Siedlungen und eine Trennmauer immer wieder behindert? Wird es vielleicht mit der Zerteilung der Westbank und dem Entstehen eines palästinensischen Staates auf weniger als der Hälfte der ursprünglichen Fläche Frieden geben? Was soll das für eine Lösung sein, die der einen durch die andere Seite aufgezwungen wird, und warum erwarten wir, dass sich die Palästinenser dieser beugen?

Die andere Frage lautet, ob denn die Araber Frieden wollen. Nun, die Niederlagen haben sie dazu gezwungen, nach Frieden zu rufen. Der Frieden ist möglich, doch Israel traut ihm nicht. Voller Unvernunft behindert es sein Kommen.Auf der anderen Seite haben die wiederholten arabischen Niederlagen, die israelische Dickköpfigkeit und die amerikanische Protektion dieses Landes dazu geführt, eine kritische Situation zu schaffen, in der die Politik der Verzweiflung und Isolation mehr und mehr Siege feiert.

Der Sieg der Hisbollah oder vielmehr ihre unglaubliche Widerstandskraft ist ein neues Vorbild in der Region. Dem Traum, die israelische Macht zu erschüttern, wird natürlich mit noch mehr Gewalt begegnet werden. Israel wird sich in Zukunft noch viel stärker selbst verteidigen müssen, mit all den damit verbundenen, immensen Kosten auf allen Ebenen. Wäre es also wirklich nicht viel besser, Syrien und auch die Palästinenser zufriedenzustellen, ohne weiteres Hinauszögern und ohne Hinterhältigkeit? Dies würde zwar nicht alle Konflikte beenden, schon weil ein solcher Schritt relativ spät käme. Doch wir müssen auf den Pfaden einer Politik des Friedens denken und handeln, und genau dies scheint der Punkt zu sein, an dem Israel stehen bleibt.

Gleichzeitig wird die Politik der Verzweiflung und des Selbstmords eine Plage für die arabischen Völker und Staaten sein. Es wäre müßig, in einer derartigen Situation ernsthaft an Demokratie und Fortschritt denken zu wollen. Der arabisch-israelische Konflikt erfüllt noch immer unsere gesamte Welt, und ohne seine Lösung ist an ein normales Leben in der Region nicht zu denken.

Die bedingungslose Unterstützung Israels durch Amerika ist Teil der stählernen und bewaffneten demokratischen Mission, und beide, Israel wie Amerika, zeigen gegenüber Völkern mit einer langen Geschichte ein äußerst beleidigendes und demütigendes Verhalten. Völkern, denen der Verrat ihrer Geschichte jeden Tag Schmerzen bereitet. Aber es muss noch einen anderen Zugang zum Nahen Osten geben. Zu einem Nahen Osten, dem ein Ausgleich zwischen den beiden Staaten Israel und Palästina gelingt – für einen umfassenden Frieden in der Region.

Wir im Libanon würden viel dabei gewinnen. Die Hisbollah wird im Tausch für ihren militärischen Erfolg keine politische Niederlage akzeptieren. Einer Verschmelzung mit den staatlichen und politischen Strukturen des Libanon wird sie sich widersetzen; diese werden sich aus verschiedenen Gründen ohnehin nur langsam entwickeln. Doch wird die Hisbollah nur schwer ein neues militärisches Abenteuer wagen. Mit der Zeit wird sie sich immer mehr an den Frieden gewöhnen, und die nicht eingesetzten Waffen werden ihre Wirkung verlieren.

Aus dem Arabischen von Achmed Khammas.

Abbas Beydoun,

Jahrgang 1945,

ist der bekannteste Schriftsteller des

Libanon und Feuilletonchef der Beiruter Zeitung „As-Safir“.

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